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13 Nisan, 2007

UZUN BİR ARADAN SONRA MERHABA!
Yazıma, pat diye dünyanın ürkütücü gündemiyle başlamak istemesem de neden uzun bir ara vermek zorunda kaldığımın gerekçelerini anlatmaya kalkmak da lak-lak yapmak olacaktır.
Hem bu gündem, lak-lak yapan şak-şakçılarla geçiştirilmeye çalışılırken, böyle bir aymazlığın benden beklenmeyeceğini bilmek ne güzel!...
Evet dünyanın gündemi ürkütücü: Dünya’ya egemen olmak sapkınlığı içindeki sözümona gelişmişlerin neden olduğu, acı-korku-öfke-kin ve kan gündemden düşmüyor.
Bunu görmek/bilmek için bırakın çevremizi, içimize bakmamız yeterli. Gördüğümüz -ya da- duyduğumuz herşey ürkütücü değil mi?
Nedenini/niçinini biliyoruz.
Yeterki belleğimize bir göz atalım...
Tarafsızlık kuşkusu içine düşersek -ki kuşku gelişme yolunda önemli bir gerekliliktir - tarihe bakalım. Ordaki en aydınlık sayfayız biz!
İşte neden bu. Ve de amaç, bir türlü içlerine sindiremedikleri o sayfayı karartmak, yani bizi bölüp-parçalayıp yok etmek/tarihten silmek...
Ama bu defa, yanılgıya ve yenilgiye olanak vermemek, bizi yok etmeyi kesinlemek için, yeni bir strateji/yöntem uygulama kararlılığındalar. Bu bağlamda - Son günlerde haklı olarak sık sık yinelendiği gibi- öldürerek yok eden değil, öldürerek yaşatan “psikolojik silahlar” öne alındı.
Böylece: Önce bu güzelim yurdu “Kulleteyn” a çevirip, güzelim insanlarında kendini değersiz görmeyi sağlamak; bu sayede, direnme gücünden yoksun, yılgın; ne olursa olsun bana ne, diyen bir bireyler yığını oluşturmak. Ve-ve-ve....
Evet üç aşağı-beş yukarı –akıllarınca- bizi böylece silecekler, bizsiz birtek sayfası olmayan tarihten!
Öyle ya taşoranlarını da yönetimin başına getirmişken... Sultanlığı bir yana, Tanrı’nın yeryüzendeki temsilcisi sayılıyorken hem de, Wahdettin yaradı mı işlerine ki bu her türlü kullanım aracına dönen, taşoranları yarasın! Hem “Şu Çılgın Türkler” i –birkez daha- çıldırtmak sömürülenden, ezilenden başka kimsenin işine yaramıyor. Ya-ra-maz. Yine mi unuttular!...
Özetlersek, paradan başka değer yargısı olmayan, bunu da “üstün kültür” sayıp kendinden olmayanlara dayatan, onlara yaşama hakkı tanımayan bu gübürün, çağ-mağ, koşul-moşul, paranın-maranın –yani ölüm araçlarının- gücü diyerek beslenen düşleri, dünyanın dörtbir yanında –yerli işbirlikçilerinin/taşoranlarının büyük katkısıyla- kan göletlerine dönüşüyor boyuna...
Burada bunları belgelemenin–artık- sağır sultanın bile duyduklarını yinelemnin zaman kaybından başka hiçbir getirisi yok. Oysa zaman kıt + birkez daha zamanın en son dilimi üzerindeyiz. Evet, gelinen nokta bu...
Bu noktada herkes kendince soyuttan somuta yönelecek birşeyler yapmak, içselleştirdiği birikimin sonucunu/düşüncelerini yaşama katmak zorunda.
Bu bağlamda benim elimden, sizlere - bu günlerde okunması gerektiğine inandığım - birkaç kitap önermekten başka birşey gelmiyor- şu anda!...
Dilerseniz ardından kitapları tartışmaya açarak, okumayanları okumaları yolunda baştan çıkaralım!

Kulleteyn -Turan Dursun
Şu Çılgın Türkler - Turgut Özakman
Çankaya - Falih Rıfkı Atay
Hangi Atatürk - Atilla İlhan
Atatürk İçin Diyorlar ki - Selehaddin Çiller (Derleyen)
Kemalist Devrim Üzerine Denemeler -Halk Evleri Yayınları
Mustafa Kemali Anlamak - Fahrünnisa Kadıbeşegil ( Yayına Hazırlayan)
Düşünce ve Dil - L. S. Vygotsky
Dünden Bugüne Türklerde Dil ve Din - Cengiz Özakıncı
Şamanizm/Türkleri'in İslamiyet'ten Önceki Dini - Cemal Şener
Nasıl Müslüman Olduk - Erdoğan Aydın
Hacı Bektaş/Evsaneden Gerçeğe - Irene Melikoff
Oltadaki Balık Türkiye - M. Emin Değer
Kuşatılmışlar Ülkesi Türkiye - Selçuk Maviengin (Yayına Hazırlayan)
Ermeniler: Sürgün ve Göç - TTK Yayınları Ermeni Meselesi - Yusuf  Halaçoğlu
Hikmet Bayur Tarihten Güncelliğe Ermeni Sorunu - Kaynak Yayınları
Listeye şu anda elimde olan kitabı da eklemeliyim; Hulki Cevizoğlu' - İŞGAL ve DİRENİŞ
Gönül Hürriyet Aydın

12 Nisan, 2007

Orhan Pamuk’s Orientalismus und Istanbulnarzissmus
Mehmet Şekeroğlu
Einführung: Im Folgenden werde ich versuchen, den Geisteszustand Orhan Pamuks aus dem Blickwinkel der klassischen Psychoanalyse zu deuten. Mein amateurhafter Versuch nimmt seine Existenzberechtigung nicht aus seiner „Wissenschaftlichkeit“, sondern aus seiner „Originalität“. Auch wenn diese Originalität nichts über die Qualität der Kritik aussagt, steht eines fest: Niemand hat Orhan Pamuk bisher von diesem Blickwinkel heraus kritisiert. Zumindest ist es einen Versuch Wert. Außerdem bin ich mir darüber im Klaren, dass man auch bei mir eine „Komplexbeladenheit gegenüber dem Westen bzw. den (sog.) Istanbulern!“ diagnostisieren kann. Bitte schön! Für Komplexe wie die meinen kann man zwar von den heuchlerischen Herren der Welt keinen Nobelpreis bekommen. Aber was diese „Herren der postmodernen Welt“ bei mir als Komplex diagnostisieren, heißt für mich der Widerstand gegen die Unmenschlichkeit und Unmoral, die sich der Macht des „heiligen Scheins“ bedienen. * Orhan Pamuk, der Literaturnobelpreisträger des Jahres 2006, ist für mich das Produkt einer heuchlerischen Beziehung der Türkei mit dem Westen. Auch die Türkei ist hierbei heuchlerisch, weil sie sich auf so eine Beziehung einlässt. Nun hat man jetzt ein Kind: Nobelpreiskind Orhan Pamuk. Sein westlicher Vater betrachtet ihn mit gleichgültigen Blicken. Die Mutter (die Türkei) kann sich über diese uneheliche Fehlgeburt nicht ganz freuen, kann auf ihr Kind nicht ganz stolz sein, weil der Vater mit ihr nicht in Form einer Ehe zusammenleben will und der vaterorientierte Sohn sie immer wieder in der Öffentlichkeit gedemütigt hat. Das Kind möchte aber von beiden Seiten geliebt werden, obwohl er sich mit dem mächtigen westlichen Vater-Gott identifiziert, der den „heiligen Geist“ (die großen Preise wie der Nobel) als die „Gabe Gottes“ in seinen Händen hält. Das arme Kind, das eine schmerzliche Lust an den Streitigkeiten zwischen dem Vater und der Mutter hat, versteht es nicht ganz – oder es tut so, als ob es nicht verstehen würde! –, warum die Mutter so enttäuscht ist, obwohl er vom Vater so einen großen Preis bekommen hat. Der Vater will das Kind nur dann lieben oder loben, wenn es seine Mutter kritisiert, verachtet und beschuldigt… Pamuk vereinigt in sich zwei Elemente: Er ist die korrupte und verwirrte Seite der Türkei, die sich wider Willens des Westens „verwestlichen“ möchte bzw. verwestlichen muss, um mächtiger zu werden bzw. um nicht der östlichen Ohnmacht zu verfallen. Er ist die korrupte Seite des Westens, der sich nicht „veröstlichen“ möchte, damit er weiterhin als Alleinherrscher bleibt… Die Wahrheit liegt zwischen den Verwirrt- und Korruptheiten von beiden Beteiligten, und: weil beide verwirrt und korrupt sind, kommen sie im Grunde kein Schritt weiter... Noch einmal: Orhan Pamuk ist das Kind, die konkrete Wahrheit von dieser korrupten und abstrakten Beziehung. Der Nobelpreis ist der „heilige Geist“, den der westliche Vater-Gott seinem östlichen, unehelichen Kind gegeben hat. Um diesen Preis (den „heiligen Geist“) erhalten zu können, musste der Sohn seinem Vater-Gott einen Gefallen tun: Er sollte seine Mutter („Eva“, „Maria“ oder „die Türkei“) beschuldigen, verachten und erniedrigen, um von seinem westlichen Vater-Gott nicht kastriert zu werden. Kastration hieße hier: der Entzug der Liebe, d.h., der Belohnung, der Preise. Durch Beschuldigung der Mutter bei dem mächtigen Vater könnte er den „heiligen Schein“, die Gabe des Vater-Gottes, den Nobelpreis erhalten! * Ich möchte über die schwierige Beziehung zwischen dem Westen und der Türkei noch einiges sagen: Der Westen lässt keine Möglichkeit aus, die Türkei zu tadeln, zu kritisieren und zu diskriminieren, weil er sich mit einer Gegnerschaft zu diesem Land und zum Islam definiert. Aber: Das Bild der Türkei in den Köpfen der Westler hat einen problematischen Haken: Die Türkei ist nicht so “türkisch” und “islamisch”, wie es sich der Westler vorstellt bzw. wünscht, der eine große Angst davor hat, dass sich die Türkei weiter verwestlichen und seine östlichen Eigenschaften ablegen könnte. Dies würde den Westen in einer Sinnkrise führen, wie es beim Sturz der Ostblockmauer der Fall war. “Was wird Rom ohne seine Feinde sein!” sagte Cato, der römische Historiker, spöttisch, als Rom seinen letzten ernstzunehmenden Feind Karthago besiegte. Was wird der Westen ohne seinen Feind Türkei sein, wenn die Türkei in die EU kommen würde? Das soll eben verhindert werden. Sonst fällt der ganze Common Sense in Europa auseinander, der sich durch diese Feindschaft d.h. durch diese “Diktatur der Angst” (Wolfgang Sowski) konstituiert hat. Einerseits verleiht diese Angst der Herrschaft in Europa eine Legitimationsideologie, andererseits hat sie für die Bevölkerung in Europa eine identitätsstiftende Funktion. Auch die Preise des Westens an Türken machen auf dem Weg der Konstituierung der bösen Türkei/ Türken keinen Halt. Zwei Beispiele aus Deutschland: Seit einigen Jahren wird die deutsche Bevölkerung gegenüber den Türken so „sensibilisiert”, als ob die Ehrenmorde und das Frühheiraten der Töchter die genetischen Eigenschaften der Türken seien. Die Preise, die den Deutschlandtürken verliehen werden, müssen eben an dem Projekt der Sensibilisierung, d.h. der Stigmatisierung der Türken behilflich sein. Was für ein Zufall ist es, dass der türkische Regisseur Fatih Akın im Jahre 2004 für seinen Film “Gegen die Wand” “den goldenen Bär” von Berlin bekam. (Ein Film, in dem die Gewalt der Ehre in einer türkischen Familie erzählt wird. Die Hauptdarstellerin des Filmes hat zuvor rein zufällig nur in Pornofilmen gespielt). Arrangierte Auftragssoziologin Necla Kelek erhielt wiederum für ihre pseudowissenschaftliche Untersuchung “Die fremde Braut...” im Jahre 2005 den Geschwister-Scholl-Preis. Es handelt sich hierbei um eine oberflächliche und einseitige Darstellung und Interpretation der Problematik der arrangierten Ehen und eine allgemeine Missdeutung der Situation der türkischen Immigranten. Desto besser: Nur so kann man die deutsche Bevölkerung gegen die Türken und Moslems sensibilisieren. Diese Preisträgerinnen haben ihren Auftrag gut verstanden und haben ihren Beitrag für die Konstituierung eines negativen Türkenbildes, eines Stigmas geleistet. Die Türkei wiederum läuft aus mir nicht ganz verständlichen Gründen hinter dem Westen: Eine in vielerlei Hinsicht zum „Double - Bind“ verdammte, eine heuchlerische „weder - noch“ oder „sowohl - als auch“ Beziehung. Und: Der Nobelpreis an Orhan Pamuk machte nicht nur den Westenkomplex eines Türken deutlich, sondern auch die Größe des Hasses der heuchlerischen Herren der westlichen Welt gegenüber der Türkei! * Orhan Pamuk musste sowohl in seinen Büchern als auch in seinen Interviews und Essays immer wieder sagen bzw. “literarisch” schildern, dass die Türkei ein östliches Land ist und dass die Türken in ihrer Geschichte viele Christen (neulich auch Kurden) massakriert haben. Das türkische Militär und das Türkentum seien große Hindernisse vor der Demokratisierung dieses Landes. Dabei kokettiert der Nobelpreisträger seit Jahren mit den kurdischen Separatisten, mit den Neu-Osmanisten (Anhänger der so genannten “2. Republik”) und mit den Islamisten. So ist es kein Wunder, dass er sich – nach dem Wunsch seiner westlichen Über-Ich- Instanzen – auch verpflichtet fühlt, sich für das Recht auf das Tragen des Kopftuches in den öffentlichen Einrichtungen in der Türkei einzusetzen. (In seinem berühmten Roman “Schnee” behandelt er u.a. dieses Thema: In der ostanatolischen Stadt Kars begehen Studentinnen Selbstmord, weil sie das Kopftuchverbot an der Universität nicht akzeptieren möchten). Für einen aufgeklärten Türken ist diese Solidarität mit den islamischen bzw. osmanischen Identitäten sehr ungewöhnlich. Aber wir haben hier keinesfalls mit einem gewöhnlichen “Türken” zu tun, sondern mit einem orientalistischen Istanbulnarzissten, für den und seinesgleichen die neue Republik von Mustafa Kemal ein großes Trauma darstellen. Dieses Trauma hat einen Verbündeten: Der immer noch an den dualistischen Weltbildern verhaftet gebliebene Westler betrachtet den “Fall Konstantinopels” als ein Trauma. So vereinigen sich zwei Traumata miteinander: Orhan Pamuks Trauma als Istanbuler, der nach dem Sieg der “Jungtürken” über “Istanbul” einen wichtigen Teil seiner (osmanischen) Privilegien verloren hat und das archaische Trauma seiner westlichen Verbündeten, die den Fall des früher christlichen Istanbul an die islamischen Osmanen/ Türken immer noch als einen Verlust, als eine “Kastration” empfinden. * Nach dieser allgemeinen Einführung möchte ich drei Thesen aufstellen, die deutlich machen sollen, dass Orhan Pamuk, 1. Ein Produkt des (westlichen) Orientalismus ist; 2. Ein elitärer Istanbulnarzisst ist, der das einfache “Fußvolk” verachtet; 3. Eine Kastrationsangst in Bezug auf seinem westlichen Über-Ich (Vaterfigur) hat, die sein ganzes literarisches und intellektuelles Schaffen determiniert. Im Folgenden werde ich auf diese Punkte einzeln eingehen. 1. Orhan Pamuk ist ein Produkt des (westlichen) Orientalismus. Orhan Pamuk kennt sein eigenes Volk fast kaum. Es gibt unzählige Stellen in seinen Romanen, die deutlich zeigen, dass seine Darstellungen über das Leben und Denken des Volkes mit den Tatsachen nichts zu tun haben. (Ein Teil der türkischen Presse zitiert und kritisiert solche Stellen. Hier möchte ich nicht darauf eingehen). Deswegen ist es kein Wunder, dass Orhan Pamuk in der Türkei trotz enormer Reklame nicht gelesen wird. Er wird zwar gekauft, aber die Mehrheit der Menschen, die ihn kauft, kann mit den Charakteren und Themen in seinen Büchern nichts anfangen. Kein Problem für ihn: Er orientiert sich nicht auf die türkischen Leser, sondern auf die Westlichen. Die großen Preise kriegt er nur im Westen. Er weiß ganz genau, welche Themen dort ankommen, welche Bücher von den (westlichen) Orientalisten gelobt und honoriert werden. Er hat ein ausgeprägtes Gespür dafür entwickelt, mit welchen Paradigmen er den Preisen im Westen herankommen kann. Sehr bewusst einkalkuliert, schreibt er Romane in dieser Facon. Dass er hierbei bewusst handelt, hat Ertuğrul Özkök, Chefredaktor der Tageszeitung Hürriyet, in seinen Kolumnen mit Unterlagen bewiesen. Orhan Pamuk konnte diese Behauptungen nicht widerlegen. Er sagte lediglich, dass er Ertuğrul Özkök nicht lese. Kurzer Rückblick: Der Journalist Ahmet Tulgar, der Pamuk interviewte, sagte Ertuğrul Özkök am Telefon, so Özkök, dass nach der Veröffentlichung dieses aufgenommenen Gesprächs Orhan Pamuk ihn angerufen hätte und sich wegen der Weitergabe an Özkök und seine Veröffentlichung sehr geärgert habe. (Er liest also Özkök doch!). Jetzt möchte ich einen Teil des Artikels von Ertugrul Özkök übersetzen: Pamuk beklagt sich gegenüber Tulgar, dass sich seine zwei Bücher („Das schwarze Buch“ und „Das neue Leben“) in den USA nicht viel verkauft hätten, weil die einflussreiche Armeniendiaspora dies verhindert habe. Über diese Bücher wurden seitens der „Taste Maker“ keine guten Kritiken geschrieben. Es handele sich um Kritiker, die selber über die Armenienmassaker etwas geschrieben würden. Orhan Pamuk sagt den Journalisten Ahmet Tulgar: „Das hinterließ in mir einen schlechten Geschmack, weil auch ich glaube, dass es in der Vergangenheit der Türkei so etwas gab.“ Ahmet Tulgar fragt: „Ihnen wurden die Tore eines großen Marktes eröffnet. Werden Sie ab jetzt die besonderen Wünsche dieses Marktes berücksichtigen?“ Orhan Pamuks Antwort: „Es gibt stolze Autoren, die sagen, dass sie nicht auf die Wünsche der Leser achten würden. Ich habe eine solche Seite. Ich habe aber auch eine andere Seite: Ich schreibe ein Buch und weiß, dass es in 20 Sprachen übersetzt und hunderttausendfach gedruckt wird. Vielleicht fünftausend wird es in Korea gelesen. Ich kann nicht so tun als ob dies alles nicht geschehen würde.“ Ertugrul Özkök interpretiert diese Worte wie folgt: „Orhan Pamuks erstes Buch konnte wegen der armenierfreundlichen Autoren kein Bestseller werden. Warum wurde das nächste Buch ein Bestseller? Was hat Orhan Pamuk gemacht, der ‚ich kann mich den Wünschen des Marktes nicht entziehen’ sagte, so dass er in New York Times gleich unter die 10 besten Bücher kommen konnte? Genau daran liegt mein Einwand. Waren die Worte (von Pamuk), dass die Türken eine Million Armenier und Dreißigtausend Kurden ermordet haben ein Konsumgut für den internationalen Markt? Ja, leider hat sich dieser Zweifel in mir festgesetzt und ich kann ihn nicht loswerden. Ich verstehe, dass die Service mit den 1 Million Armeniern den armenierfreundlichen Kritikern in den USA gefällt. Aber was ist mit der Behauptung von Dreißigtausend ermordeten Kurden? Ist das auch ein Service an manche Institute in Schweden, wo eine große Kurdenlobby existiert? Zum Beispiel Nobel? Ich sage es mit meiner ganzen Ehrlichkeit, dass ich mich schäme, während ich diese Zeilen schreibe.“ (Hürriyet, 26.04.2005). Ertugrul Özkök musste jedoch mit seiner “Kritik an Pamuk” aufhören, weil die einflussreichen “Freunde” Pamuks die Tageszeitung “Hürriyet” und ihn gewarnt haben (das schrieb Özkök offen), die Kritik an den Nobelpreiskandidaten zu unterlassen. “Ich gebe auf!”, hieß es bei Özkök. Gesagt, getan! Aus der Motivation heraus, im Westen Preise zu bekommen, schrieb Pamuk also seine Romane und seine Essays, gab seine in der Türkei umstrittenen, aber im Westen wohl gelobten Interviews. Er betrachtet sich, sein ganzes Schaffen mit dem Blick eines Orientalisten. Natürlich hat jeder Autor ein “Publikum” vor Augen, wenn er schreibt. Das kann bei großen Autoren wie z. B. Goethe oder Dostojewski grenzübergreifend sein, dass sie die ganze Menschheit als ihr Publikum betrachten und daher über den allgemeinen Menschen schreiben. Dass diese Autoren dabei von dem Lokalen ausgehen, ist kein Hindernis für ihre Größe. Wenn sie über Lokales schreiben, haben sie auch den universalen Menschen vor Augen, so dass hier eine künstlerische und gesunde Dialektik zwischen dem Lokalen und dem Universalen hergestellt wird. Bei Orhan Pamuk ist das anderes. Weil er einen Westen-Komplex hat, der sein ganzes Denken und Schreiben determiniert, schreibt er wie ein Auftragsautor für seine westliche (abstrakte) Über-Ich-Figur. (Darauf werde ich später unter der These 3 weiter eingehen). Pamuk denkt unbewusst bzw. halbbewusst, dass diese “Figur” von ihm bestimmte Themen “verlangt”. So sind seine Themen im höchsten Masse politischer Natur, obwohl er vehement leugnet, in seinen Romanen politische Thesen zu entwerfen und zu vertreten. Er tut es doch, weil seine westliche Über-Ich-Figur von ihm genau dies erwartet. Ohne Fleiß kein Preis! Denn der (westliche) Orientalist möchte bei einem östlichen Autor genau das sehen, was er in seinem Kopf über den Orient hat. Selbst Freud verglich den Osten mit seiner Instanz “unbewusstes Es”, und den Westen setzte er mit dem (bewussten) “Ich” gleich. Nun muss der östliche/ hier der türkische Autor irgendwelche archaischen, unbewussten 1001 Nacht Märchen erzählen, um im Westen ankommen zu können. Genauso wie die Neger in den westlichen Filmen die Livreè tragen und mit einer besonders verstellten Stimme sprechen müssen, muss ein östlicher/ türkischer Autor in seinen Büchern besondere Folkloretänze mit den erwarteten politischen Figuren vorführen. Genau das wird auch von Orhan Pamuk erwartet und er hat es begriffen, worauf es bei den (westlichen) Orientalisten ankommt. In seinem Roman “Schnee” behandelt er einige Themenschwerpunkte, die “zufällig” die herrschenden Türkeibilder, den herrschenden Common Sense in den Köpfen des westlichen Durchschnittsbürgers ausmachen. Ich stelle einige Thesen vor, die Pamuk in seinem Roman “Schnee” vertritt: “Die Türken haben in ihrer Geschichte einen Völkermord an Armeniern begangen”. “Das türkische Militär ist ein Hindernis vor der Demokratie in der Türkei”. “Die Studentinnen werden dazu gezwungen, ihre Kopftücher abzulegen, wenn sie studieren wollen. Sie protestieren dagegen mit dem Selbstmord”. “In der Türkei werden Kurden unterdrückt...” Die irrationale östliche Mystik und die Geheimnistuereien sollen dabei die Rolle der “Soße” spielen: So baut Orhan Pamuk in seinem Roman “Schnee” Geheimnisse über Geheimnisse auf, die sich im Endeffekt als “Ente!” oder als “Köder” für die Leser entpuppen. Geheimnisse der Schneestücke, geheimnisvolle Worte des (islamischen) Scheichs, Geheimnisse des Todes des (türkischen) Journalisten “Ka” in Frankfurt, Geheimnisse der Selbstmorde der Studentinnen in Kars usw. Genau wegen dieser irrationalen Spurensuche in seinen Romanen werden seine Romane in manchen deutschen Internetseiten als “Kriminalromane” bezeichnet. Das ist für mich die einzig treffende Darstellung seines literarischen Charakters, die in den westlichen Medien vorkommt! Zusammenfassend kann hier noch gesagt werden, dass die Romane aber auch die Essays und das Istanbul-Buch von Orhan Pamuk Spiegelungen bzw. Entsprechungen eines (westlichen) Orientalismus sind. Um ein Beispiel zu nennen: In dem Buch des berühmten deutschen Orientalisten Udo Steinbach über die Türkei (Die Türkei im 20. Jahrhundert, 1996) werden “zufällig” die selben Probleme behandelt wie die in den Büchern Orhan Pamuks: Nach Steinbach ist das Kopftuch ein Symbol der anständigen türkischen Frau (damit möchte er das Kopftuchtragen auch in den öffentlichen Einrichtungen in der Türkei “salonfähig” machen und die nichtverschleierten türkischen Frauen als “unanständig” bezeichnen!); Steinbach lobt in seinem Buch Turgut Özal und die anderen Anhänger der Neo-Osmanischen “2. Republik” in der Türkei; Steinbach widmet dem “Kurdenproblem” in der Türkei große Aufmerksamkeit; Steinbach kritisiert das türkische Militär als die versteinerten Anhänger des Kemalismus usw. Kann man solche und noch andere ähnliche Schwerpunkte bei Orhan Pamuk und beim Orientalisten Udo Steinbach vielleicht als Gesinnungsparallele der „demokratischen Menschen“ bezeichnen? Für mich zweifelsohne, nein! Denn Turgut Özal z.b. wurde von den damaligen türkischen Militärs und von den USA an die Macht gebracht. Er paktierte sowohl mit den – im Grunde – westlichorientierten Islamisten als auch mit den vom Westen unterstützten kurdischen Separatisten. Dass für Özal und seine westlichen Verbündeten das türkische Militär als der Verteidiger von Atatürks Erbe – vor allem die Prinzipien Laizismus und Unitarismus – als ein Hindernis vor der imperialistischen Globalisierung geworden war, ist ein anderes Thema. Özal und damit die Neu-Osmanisten als die Verteidiger der Demokratie zu loben ist für mich sehr unglaubwürdig ja sogar heuchlerisch, wenn dies auch von den berühmten Orientalisten gemacht wird, egal ob ihre Namen Udo Steinbach, Heinz Kramer, Peter Heine usw. sind... (Eine Bemerkung: In “Das schwarze Buch” verspottet Orhan Pamuk Mustafa Kemal in mehreren Stellen, ohne dass diese “Gefühlsausbrüche” einen Sinn für den Gesamtzusammenhang seines Romans hätten: Auch diese Tatsache zeigt seine ideologischen Ähnlichkeiten mit Orientalisten wie Udo Steinbach, Samuel Huntington und Heinz Kramer, für die das Erbe Mustafa Kemals angeblich ein Hindernis für die “Entwicklung der Türkei” darstellt). 2. Orhan Pamuk ist ein elitärer Istanbulnarzisst Dass ein Mensch seine Heimatstadt liebt und lobt, ist ganz normal, sogar etwas Schönes. Dass Istanbul eine ungewöhnlich schöne, ja sogar eine faszinierende Stadt ist, und dass die Istanbuler ihre Stadt lieben und loben, ist verständlich. Diese “Normalität” kann jedoch einen Haken haben, wenn dieses Lob mit der Verachtung der armen und bäuerlichen Menschen parallel läuft, die von außerhalb Istanbuls vorkommen. In vielen Fällen, d.h. bei den Istanbulnarzissten ist dies der Fall und bei Orhan Pamuk hat dies eine Methode, eine besondere Vergangenheit. Es gibt zwischen einer gesunden Liebe an Istanbul und dem Istanbulnarzissmus einen großen Unterschied. Eine übertriebene Hervorhebung Istanbuls seitens der Istanbulnarzissten wie Orhan Pamuk, hat etwas “überhebliches” (um nicht “rassistisches” zu sagen) in sich. Warum eigentlich? Woran liegt es und wie zeigt sich diese Verachtung? Bevor ich auf Orhan Pamuk’s Istanbulnarzissmus und auf seine Verachtung des einfachen Volkes aus Anatolien komme, möchte ich einiges über die Vergangenheit dieser Stadt sagen: Istanbul ist keine gewöhnliche Stadt wie jede andere: Sie ist nicht nur schön, sondern auch unheimlich mächtig. Als Handelsknotenpunkt hat sie in der Geschichte immer eine besondere wirtschaftliche, politische und kulturelle Rolle gespielt. Als Sultan Mehmet II. Istanbul eroberte, verlief 40 % des Welthandels über diese Stadt, die ja in mehrerer Hinsicht ein Gegenspieler von Rom war. Erst nach der Eroberung Istanbuls entwickelte sich das Osmanische Reich zu einer großen Weltmacht. Sie war vor und nach der Eroberung eine kosmopolitische Stadt. Osmanen haben die wirtschaftlichen Strukturen nicht geändert, sondern sogar von der Verwaltung bis zum Harem vieles vom Byzanz einfach übernommen und weitergeführt. Diese Bewahrung der Kontinuität war auch eine kluge Entscheidung der Osmanen. Es änderte sich hauptsächlich die Religion und Sprache der Machthaber. Istanbuls “Millets” (religiöse Gemeinschaften) genossen die Freiheiten, die zu dieser Zeit nirgendwo großzügiger sein könnten. Nach wie vor hatten die nicht moslemischen “Millets” die wirtschaftliche Macht. Den Osmanen ging es natürlich um ihre politische Herrschaft. Dafür brauchten sie Steuern. Ob die Geschäfts- und Handelsleute Moslems, Christen oder Juden waren, interessierte die Herrscher dieses Vielvölkerstaates kaum. Die Türken/ Moslems machten nur einen Teil der anatolischen bzw. osmanischen Bevölkerung aus, die überwiegend einfache Bauern waren. Für die osmanische Herrschaft war also entscheidend, dass die Kasse stimmte. Sie stimmte übrigens so lange, bis Christoph Kolumbus auf dem Weg nach Indien zufällig in Nordamerika landete und die europäischen Länder als Sklaven- und Rohstoffquellen Afrika “entdeckt” und damit mit dem weltweiten Kolonialismus angefangen hatten. So verlor Istanbul Schritt für Schritt bis zum Untergang des Osmanischen Reiches immer mehr an seiner wirtschaftlichen und damit politischer und militärischer Bedeutung. Diese Jahrhunderte lang andauernde besondere Stellung Istanbuls fand ihre Widerspiegelung in den Geistern von Istanbulern, die wussten, dass sie in einer besonderen Stadt lebten. Sie wussten auch, dass sich keine Herrschaft in Anatolien, in Mittleren Osten und auf dem Balkan wirtschaftlich und politisch behaupten könnte, ohne die besondere wirtschaftliche Stellung dieser Stadt zu berücksichtigen. So war Istanbul immer wie ein Staat im Staate. Ich habe viele aus Istanbul stammenden Menschen kennen gelernt, die sehr Stolz darauf waren und sind, dass sich die Grabstätte ihrer Vorfahren in Istanbul befindet und dass sie ein “echter Istanbuler!” sind. Diese Identifikation mit einer mächtigen Stadt genießt übrigens nicht nur innerhalb der Türkei, sondern auch in der Welt bzw. in Europa ein besonderes Ansehen. “Ich bin aus Istanbul” hat fast eine magische Kraft in den Mündern und Ohren vieler Menschen. Deswegen ist es kein Zufall, dass sogar viele Menschen aus Anatolien, die aus bäuerlichen Gegenden stammen und in Istanbul eine Hütte oder ein Haus gebaut haben, sich euphorisch als “Istanbuler” bezeichnen. Diese fast krankhafte Identifikation mit dieser ruhmvollen Stadt, die mit dem Freudschen Abwehrmechanismus “Identifikation mit den Angreifern/ Mächtigen” vergleichbar ist, möchte ich “Istanbulnarzissmus” nennen. Diesen Narzissmus vergleiche ich übrigens mit dem Rassismus bzw. der Ausländerfeindlichkeit in Europa, in Deutschland. Für einen “echten Deutschen” ist ein Ausländer aus der Türkei minderwertig, weil Europa oder Deutschland “entwickelter” und “mächtiger” ist. Der europäische bzw. deutsche Rassist identifiziert sich mit dem großen, zivilisierten, reichen, wirtschaftlich mächtigen Europa bzw. Deutschland. In seinen Augen ist ein Türke aus dem armen Anatolien minderwertig. (Dieser Anatolier schützt sich manchmal vor den deutschen/ europäischen Rassisten dadurch, indem er ihm etwa sagt: “Ich bin ein Istanbuler. Ich gehöre nicht zu den anderen üblichen Türken, die aus Anatolien stammen und nicht zivilisiert sind!”). Dieser Mechanismus gilt auch für einen “echten Istanbuler” in der Türkei. Das “Fußvolk aus Anatolien” kommt massenhaft (jedes Jahr etwa 200.000) nach Istanbul und “stört und vernichtet die große Kultur in dieser Stadt!” Wie die Ausländer in Deutschland/ in Europa leisten auch diese armen und von dem kapitalistischen System benachteiligten Menschen dem Reichtum der wohlhabenden “Istanbuler” als billige Arbeitskräfte große Dienste, die aber nicht wahrgenommen oder wertgeschätzt wird. Wie bei allen anderen Formen des Rassismus werden auch hier die realen Verhältnisse ideologisch umgedreht und zum Nachteil der Ausgebeuteten interpretiert. Wie es in anderen Beispielen der Fall ist, verachten auch die Herrscher von Istanbul ihre Untertanen aus Anatolien. Daher sind sowohl in Europa als auch in Istanbul des Öfteren solche Thesen zu hören: “Die Ausländer/ anatolischen Bauern kommen mit ihrer besonders rückständigen Kultur (Ess- Bekleidungs- und anderen eigenartigen Gewohnheiten und mit ihren Ghettos/ Gecekondus) hierher, vermehren sich wie Kaninchen und zerstören die alte, große Kultur Europas/ Deutschlands/ Istanbuls!” * In seinem Buch “Istanbul” redet Orhan Pamuk nicht direkt von den anatolischen Bauern, die die originelle Kultur des alten Istanbuls vernichtet hätten. Er redet aber indirekt von dem Prozess der Türkisierung Istanbuls, der ihn stört. Er redet von dem “Türkentum”, das nach dem Niedergang des Osmanischen Reiches in Istanbul die Macht eroberte und dort das uralte “friedliche Zusammenleben” von verschiedenen Etnien zerstörte. Er erzählt traurig, wie nach der Gründung der Republik die kosmopolitischen Strukturen der Stadt verloren gingen. Man konnte bis zur Gründung der Republik auf den Strassen Istanbuls Türkisch, Griechisch, Armenisch, Italienisch, Französisch und Englisch hören. Mit der Verschärfung der Türkisierung verschwanden all diese Sprachen, so Pamuk. Istanbul wurde also vom Türkentum noch einmal “erobert”. Am 05. Januar 2006 sagte Orhan Pamuk in einem anderen Interview mit einem Reporter von „CNN - Türk“, dass er ein schlechtes Gefühl bekomme, wenn er die türkische Nationalhymne höre. Diese Haltung wäre sogar begrüßenswert, wenn dahinter eine universalistische Menschlichkeit stünde. Nein! Ich bin davon überzeugt, dass Orhan Pamuk nicht allgemein gegen die „Scheinwerte“ wie Nationalismus oder Rassismus kämpft, sondern er sortiert sie aus: Türkischer Nationalismus ist für ihn „böse“, aber der „heilige Geist/ Schein“ seines westlichen Vater-Gottes kann nur „gut“ sein! Das ist tatsächlich naiv und heuchlerisch! So klagt er das Türkentum an seinem westlichen Vater bzw. an seinen westlichen Brüdern und Schwestern, die im Westen sein Buch lesen werden und in Augen Orhan Pamuks menschenrechtsorientiert und nicht nationalistisch sind. Sie alle werden Orhan Pamuk loben und ihm sagen: „Orhan, du argumentierst gegen das Türkentum sehr gut! Genau so wie wir. Deswegen mögen wir dich! Bravo!“ Die wegen seines Ödipuskomplexes fortgeschrittene Verblendung Orhan Pamuks gibt ihm keine Möglichkeit, den versteckten, subtilen Nationalismus, Rassismus und Eurozentrismus seines westlichen Vaters und seiner westlichen Geschwistern (den großen Teil seiner Leserinnen und Leser im Westen) sehen kann. Kein Wort verwendet Pamuk in seinem Istanbul-Buch über die Hunderte von Jahren andauernde und heute noch aktuellen Ausbeutung armer Anatolier durch den alten Feudalismus bzw. durch den neuen Kapitalismus, dessen Hauptquartier trotz der neuen Republik nach wie vor Istanbul ist. (Etwa 40 % der heutigen türkischen Industrie- bzw. Exportproduktion befindet sich in und um Istanbul). Orhan Pamuks Schweigen über die ärmeren Schichten Istanbuls bzw. über die Anatolier geschieht wegen seiner ideologischen oder politischen Einstellung. Auch kein Wort verwendet Orhan Pamuk in seinem Istanbul-Buch z. B. von dem Dichter Tevfik Fikret (1867-1915), der ein Istanbuler war. Er hat in seinen Gedichten so treffend wie keiner anderer den unaufhaltsamen Niedergang des korrupten Sultanats und damit des korrupten Istanbuls beschrieben. Sein im Jahre 1901 geschriebenes Gedicht “Sis” (Nebel) ist ein einmaliges Meisterwerk. Es ist bisher das einzige Gedicht, das über den Untergang eines korrupten Staat-Staates geschrieben worden ist. Von diesem langen Gedicht möchte ich einige Stellen frei übersetzen: “Deine Horizonte wurden wieder von dem massiven Nebel umringen (...) Du verdienst aber diese dunkle Decke, ach du die Bühne der Grausamkeit (...) Ach du im Schoß Marmaras wie ein Toter schlafender, lebendige Masse Ach Trümmerhaufen Byzanz, ach alte Verführer Ach jungfräuliche Witwe, die von Tausend Männern übrig geblieben ist In deiner Schönheit sieht man noch die Magie deiner Frische Die schauenden Augen faszinieren sich mit deiner Ansicht Wer dich von der Ferne anschaut, sieht etwas Herzhaftes in deinen blauen Augen In deinen Gliedern wehen die Wellen der Schmutz der Heuchelei, Dort kann man kein bisschen sauberes finden. Nur der Schmutz der Heuchelei, der Missgunst, des Vorteilsdenkens Nur das... und nur die Hoffnung des eigenen Aufstiegs. Unter Millionen Toten in deinem Schoß Wie viel Stirne gibt es sauber und glänzend? Deck dich ja, ach Katastrophe... Deck dich ja ach Stadt Deck dich und schlafe bis zur Ewigkeit, ach du sündige Hure der Welt.” * Auch Mustafa Kemal war unversöhnlich enttäuscht von diesem “Istanbul” (im weitesten Sinne des Wortes), die nach dem verschwinden der Deutschen jetzt (1918) auf dem Schoß Englands saß und tatenlos zusah, wie das anatolische Volk von den Siegern des I. Weltkrieges und von ihren Verbündeten Schritt für Schritt vernichtet wurde. Istanbuls verwestlichte und einflussreiche (türkische) Elite jedoch diskutierte in dieser Zeit (1918-1919) mehrheitlich sehr intensiv und ernsthaft darüber, ob die Türkei lieber das englischen oder doch das amerikanischen Mandat akzeptieren sollte. Für Mustafa Kemal, damals bekannt als Held des Dardanellenkrieges, kam weder eine noch das andere in Frage. (Er sagte später: “Die Unabhängigkeit ist mein Charakter!”). So verließ er am 16. Mai 1919 Istanbul in Richtung Samsun. Die von den Amerikanern und Engländern „geförderten“ und damit antinationalistischen Medien Istanbuls schimpften ständig auf Mustafa Kemal, der nur in Anatolien, in Ankara seine Anhänger hatte. Nach dem gewonnenen Befreiungskrieg weigerte er sich acht Jahre, Istanbul zu besuchen. (Desto trotz wurde er auch in Istanbul vom Volk als der Held des Befreiungskrieges enthusiastisch empfangen). Nun hat sich also die kemalistische Revolution auch in Istanbul durchgesetzt. Aber nicht Istanbul, sondern Ankara wurde die Hauptstadt der neu begründeten Republik. Viele Länder Europas und auch die USA verweigerten sich ihrerseits jahrelang, ihre Botschaften aus Istanbul nach Ankara zu übersiedeln. Auch für sie war es eine Schande. Statt im schönen Istanbul zu bleiben ins düstere und unterentwickelte Ankara zu gehen. Sie wollten nicht wahr haben, dass Istanbul nicht mehr die Hauptstadt der “Türkei” war... In Orhan Pamuks “Istanbul”-Buch kann man zahlreiche Informationen über die verwestlichte Elite und über ihre westlichen Identitätsfiguren (Maler, Autoren, Denker usw.) finden. Über den Widerstand Anatoliens gegen die imperialistischen Besatzer und über den korrupten und kapitulierten Geist “Istanbuls” verwendet Pamuk kein Wort. In diesem Zusammenhang ist jedoch eins klar. Den schon längst fälligen Niedergang des Osmanischen Reiches und damit die neue Eroberung eines korrupten Stadt-Staates durch das “Fußvolk” aus Anatolien empfanden die “waschechten” Istanbuler als eine Niederlage. Es war für sie bestimmt ein traumatisches Erlebnis, dass das bisher von “Istanbul” verachtete “Türkentum” aus Anatolien die politische Macht des schönen Istanbul zerstörte und es eroberte, und diese neue Macht aus Ankara kündigte, dass die (anatolischen) “produzierenden Bauern nun die richtigen Efendis der Türkei” seien. * Das anatolische Volk hat Jahrhunderte lang “Istanbul” gesagt, wenn es seine Benachteiligung, Ausbeutung und Unterdrückung seitens des Sultans aus Istanbul zum Ausdruck bringen wollte. Auch hier möchte ich einen wiederum aus Istanbul stammenden Dichter erwähnen, der sich aber mit dem anatolischen Volk solidarisierte: Der “Nationaldichter” Mehmet Emin Yurdakul (1869-1944), der in Orhan Pamuks Istanbul-Buch natürlich nicht erwähnt wird. In vielen seinen Gedichten beschrieb er die erbärmliche Lage der armen anatolischen Bevölkerung. Ich möchte ein Teil seines Gedichtes “Anadolu” (Anatolien; 1914) frei übersetzen: “... Ich hörte eine Stimme, kehrte um und sah: Eine Frau...” (...). (Zunächst beschreibt Yurdakul, in welchem verarmten, ungesunden Zustand dieser Frau ist, die unter ihrem Arm einen geflickten Sack trägt. M.Ş.). “Was ist Schwester?” / “Was soll’s! Wir fressen Grass!”/ “Hast du kein Land?”/ “Weder Ochse, noch Acker./ Bis heute habe ich wie ein Sklave geackert/ Gesät, geerntet, kam über die Runden/ Ab jetzt...”/ “Wo ist dein Mann?”/ “Ich bin Witwe/ Mein Mann ist im Krieg gefallen, ich habe eine Mutter, einen Sohn.”/ “Deine Verwandten?”/ “Sie alle sind noch ärmer!/ Ach Efendi, warum steht Istanbul/ So hart wie ein steifer Berg gegen uns?/ Leben wie ein Tier, soll es das Schicksal der Bauer sein?” Hier wird also von der realen Lage in Anatolien und damit von dem wahren Gesicht Istanbuls gesprochen. Während die aus Istanbul und aus den wohlhabenden Familien stammenden Lieblingsautoren von Orhan Pamuk in den Revolutionsjahren von einer Traurigkeit/ “Hüzün” geplagt werden, schreibt auch der kommunistische Dichter Nazım Hikmet von diesen realen Umständen in Istanbul und in Anatolien. Auch das ist für mich kein Wunder, dass Orhan Pamuk den wohl größten Dichter der Türkei in seinem Istanbul-Buch nicht einmal im Zusammenhang von Pierre Loti erwähnt. Andererseits spricht er von Walter Benjamin bis Knut Hamsun von den ausländischen und genauso viel von den osmanisch- türkischen Autoren/ Dichter. Es war Nazım Hikmet, der die orientalistische Mentalität von Pierre Loti in einem seiner Gedichte mit einer dichterischen Meisterleistung kritisierte. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Teil dieses Gedichtes von Hikmet zitieren:
Es heißt: „Orient-Okzident (für die Befreiung des versklavten Orients: An Pierre Loti)“: „’Haschisch!/ Fatalismus!/ Kismet!/ Gitterwerk, Herberge, Karawane, Zisterne!/ Eine auf silbernen Tabletten tanzende Sultanin,/ Maharadscha, Padischah,/ ein tausendjähriger Schah./ An den Minaretten hängen Pantinen aus Perlmut,/ Frauen mit roter Henna auf den Nasen/ sticken Tücher mit ihren Füßen./ In alle Winde rufen Imams mit grünen Bärten zum Gebet.’/ Das ist der Orient, den der Frankenpoet gesehen hat./ Das/ ist der Orient der Bücher,/ die millionenfach in der Minute gedruckt werden./ Weder gestern/ noch heute/ noch morgen/ gab es einen solchen Orient,/ und es wird ihn nicht geben./ Der Orient/ ist Erde,/ auf der nackte Sklaven verhungern!/ Das Land, das jedem gehört,/ außer dem Orientalen!/ Der Boden, wo der Hunger aus Mangel starb!/ Der Speicher/ zum Überlaufen voll mit Weizen!/ der Speicher Europas!/ (...)“. (Nazım Hikmet. Hrsg: Mehmet Aksoy, Berlin 1982, S. 217). * Zurück zur “orientalischen” Traurigkeit/ “Hüzün” von den Istanbuler Lieblingsdichtern von Orhan Pamuk: Warum sind ihre – auch Orhan Pamuk’s – Stimmung eigentlich so massiv von einer Traurigkeit/ Hüzün dominiert? Vielleicht genau wie die anderen Istanbulnarzissten trauert er um den Niedergang des osmanischen Istanbul. (In seinem Istanbul-Buch gibt es genug Anzeichen dafür). Ein anderer Grund dieser Traurigkeit kann sein, dass er sich so ernst nimmt und in seinem Selbstmitleid badet, wie dies bei den gelangweilten Menschen aus dem gutbürgerlichen Hause immer wieder vorkommt. “Hüzün” als eine geistige Dauerbeschäftigung! Die Arabeskmentalität eines postmodernen Autors! Man hat Lust an seinem eigenen Untergang und Jammereien! Vielleicht ist Orhan Pamuk wegen dieser besonderen Mentalität dagegen, dass die fast wie Ruinen aussehenden alten Häuser in Istanbul renoviert werden. (So sagte er während eines Fernsehinterviews). Auch seine Angst vor der eventuellen schriftstellerischen Begabung seines Vaters, über dessen Koffer voll mit den handgeschriebenen Heften er seine Nobelpreisrede aufgebaut hat, ist für mich nur mit dieser “Arabeskmentalität” zu erklären. (Übrigens: Pamuks Mutter korrigierte ihren Sohn in einem Interview, dass dies kein Koffer, sondern lediglich eine Tasche gewesen sei. Bei einem anderen Interview korrigierte sie ihren Sohn wieder, weil er einem spanischen Journalisten gesagt hatte, dass er atheistisch sei. Mutter: “Wir praktizieren es nicht, aber wir sind Moslems”). * Der Istanbulnarzissmus Orhan Pamuks hat natürlich auch eine, zwar versteckte aber eigentlich deutliche, politische Dimension. Es handelt sich um eine alte und neue Ideologie, die von den bekannten “antinationalistischen” Ideologen wie Mete Turcay und Ilhan Tekeli – beide sind enge ideologische Freunde Orhan Pamuks – und ihresgleichen konstituiert und propagiert wird. Sowohl die von den westlichen “Freunden” geförderte Allmachtsphantasie dieser Neu-Osmanisten, als auch eben ihre westlich-christlichen Freunde hätten es gerne, dass Istanbul wieder die Hauptstadt der neu zu formierenden “Mittelost-Federation” sein sollte. So hätte man Istanbul wieder von dem “Türkentum” ganz befreit und internationalisiert. So hätte man ja auch die “Probleme des Nationalismus von Mustafa Kemal” gelöst: Istanbul ist wieder Konstantinopel für die Christen, Anatolien teilt sich unter verschiedenen Föderationen: Kurdenföderation bis zum südlichen Irak; Föderation Armenien weitet sich bis Erzurum; auch Balkan- und Kafkasländer sollen zu diesem großen föderativen Neo-Osmanen Staat gehören. Einzige entscheidende Voraussetzung dafür ist: Die Türkei sollte das Erbe des Kemalismus, d.h., vor allem den Laizismus- und dem Unitarismusprinzip der Republik ad Acta legen. Der Rest erledigt sich von selbst! Im weitesten Sinne des Wortes! Nilüfer Göle, eine im Westen sehr beliebte Soziologin und Verteidigerin des Kopftuches, spricht von der Rache Istanbuls 70 Jahre nach der Entmachtung dieser Stadt durch die „Nationalisten“. Cengiz Çandar, ein großer Anhänger des “Neo-Osmanismus” und der “2. Republik”, damit ein enger Freund der USA und natürlich auch ein sehr guter Freund Orhan Pamuks, ist ein unnachgiebiger Kämpfer der Idee, dass Istanbul wieder Hauptstadt der neuen “2. Republik” sein soll. So schreibt er in seinem Essay “Istanbul, meine Geliebte!”, dass Istanbul ein Allgemeingut der Menschheit sei und: “Die ‘2. Republik’ und der ‘Neo-Osmanismus’ wird ihren Schneidepunkt in Istanbul finden. Das ist unsere Hoffnung, unser glänzender Horizont, unsere große Passion für die ganze Menschheit, unsere stolze und freche Herausforderung gegen die Welt... Das heilige Istanbul. Istanbul, unsere unverzichtbare Geliebte. Unsere feurige Liebe...” (Esquire Dergisi, 01. Februar 1994). Auch ein anderer postmoderner, US-freundlicher Ideologe, Cüneyt Ülsever (Kolumnist von der Tageszeitung Hürriyet), sagte am 12.03.2004 in einem Fernsehinterview: “Die Welt wird globalisiert. In so einer Welt ist die Türkei wichtiger, als dass man sie den Türken überlassen dürfte...” Für die einerseits antinationalistischen aber andererseits “königstreuen” Herren wie Cüneyt Ülsever, Cengiz Çandar, Orhan Pamuk, Murat Belge usw. wäre es eine tolle Sache, wenn zumindest Istanbul vom “Türkentum” (ganz) befreit und als ein unabhängiger “Herzog” (“dükalık”) von einer internationalen (westlichen) Verwaltung regiert werden könnte. Rein zufällig redete auch Butros Ghali, damaliger Generalsekretär der Vereinigten Nationen, im Juni 1996 während des Habitats II- Versammlung von den besonderen Geistern der Städte und benutzte den Begriff “Föderativer Staat Istanbul.” So nimmt mit dem Besuch des Papstes in Istanbul auch die Veröffentlichung des Istanbul-Buches des Nobelpreisträgers Orhan Pamuk in Europa/ Deutschland als die “großen Ereignisse” des Jahres 2006 ihren Platz in der Geschichte. Natürlich alles rein zufällig!.. 3. Orhan Pamuk’s Kastrationsangst vor seinem westlichen Über-Ich (Vaterfigur) Ein durchschnittlich begabter Literaturkritiker in Deutschland, der etwas Ahnung von der Psychoanalyse hat, sollte eigentlich bei der Nobelpreisrede von Orhan Pamuk etwas merken: Diese Rede zeigt sehr deutliche Spuren eines von dem Ödipuskomplex erfassten Mannes. Die ganze Zeit sprach Orhan Pamuk dort von dem Koffer seines Vaters, den dieser zwei Jahre vor seinem Tod ihm übergab. Gleichzeitig teilte der Vater ihm die frohe Botschaft mit, dass er in den nächsten Jahren den Nobelpreis für Literatur bekommen werde. Nun hat er jetzt den Wunsch seines Vaters erfüllt und fühlt sich sehr glücklich. Wie schön wäre es, wenn der Vater gesehen hätte, dass sein Sohn für das Jahr 2006 als zum besten Autor der Welt gewählt wurde. Orhan Pamuks Ödipuskomplex hat natürlich weitere Konsequenzen: Es ist nur mit seiner Überidentifikation mit dem Westen zu verstehen, warum Orhan Pamuk seine Bücher für seine westlichorientierte “Vaterfigur” also für die westlichen Leser schreibt und alles tut, von ihnen gelobt und honoriert zu werden. Warum kümmert sich kein (deutscher) Literaturkritiker um diesen Ödipuskomplex? Sonst sind doch die deutschen Kritiker dafür bekannt, die kleinsten Details aus dem Leben eines wichtigen Autors zu forschen und zu analysieren. Warum wird diese Ehre Orhan Pamuk vorbehalten? Weil er unantastbar gut ist? So etwas gibt es in der westlichen/ deutschen Kritikszene nicht. Man findet immer etwas zu kritisieren, das gehört zum Geschäft. Woher kommt dieser Konsens der Kritiklosigkeit? Ich vermute, erstens: Man nimmt Orhan Pamuk gar nicht als ein Literat ernst, weil man genau weiß, dass er wegen seiner politischen Äußerungen diesen Preis bekommen hat. Daher findet man es unnötig, seine Rede genau zu analysieren. Oder, zweitens: Die Instanzen, die Orhan Pamuk aus politischen Gründen diesen Preis gegeben haben, sind dermaßen einflussreich, dass ein Kritiker Orhan Pamuks keine Chance hätte, diesen Kritik in Europa/ Deutschland veröffentlichen zu können. Denn einen Kritiker der Türkei wie Orhan Pamuk darf man nicht kritisieren, weil damit der ganze feindliche “Common Sense” (der gesunde Menschenverstand!) gegenüber der Türkei in Europa/ Deutschland ein Eigentor kassieren würde. Wie auch immer! Nun vertiefen wir uns weiter in seinen Ödipus- bzw. Westen-Komplex. Pamuk verwendet in seiner oben erwähnten Rede kein Wort von seiner Mutter, die ja während der später geschiedenen Ehe von ihrem Mann immer wieder betrogen wurde. Hier nehme ich etwas vorweg und ergänze meine amateurhafte Psychoanalyse mit einer Analogie: Der Vater Orhan Pamuks repräsentiert den Westen, und seine Mutter die Türkei bzw. das einfache türkische Volk. Die Mutter/ die Türkei ist den Betrügereien des Vaters/ des Westens ausgesetzt. Nun identifiziert sich der strebsame Sohn mit dem Vater/ mit dem Westen. Das konsequente Ergebnis dieser Identifikation ist die totale Ablehnung bzw. Verachtung der Mutter/ des eigenen Volkes. Auf ihre (unterentwickelte) Liebe kann er verzichten, weil sie sowieso nicht die Macht des Vaters/ des Westens hat. Die Preise, Gelder, Lob und Ruhm kann er nur über den Vater/ den Westen bekommen. Nun muss er so schlau sein, dass er den Vater/ den Westen nicht böse werden lässt. Er muss das sagen, was der Vater/ der Westen von ihm erwartet... Die Mutter Orhan Pamuks hat am 16. Oktober 2006 in Bezug auf die von den Türken ermordeten Armeniern und Kurden der Tageszeitung Sabah gesagt: “Orhan hat einer kleinen schweizerischen Zeitung etwas Falsches gesagt. Aber die türkisch Presse hat es sehr übertrieben.” Sie bezeichnete auch vorher in mehreren Interviews die Behauptungen ihres Sohnes in Bezug auf die eine Million ermordeten Armeniern als “falsch”. Der Sohn nahm diese Kritik und Widerlegung seiner Mutter überhaupt nicht wahr. Denn sie hatte keine finanzielle oder andere Mittel, um ihre These bei ihrem Sohn durchzusetzen. Und: Ihr Sohn war von einem Vater-Westen-Komplex unheilbar besessen... Die Mutter verkörpert all das, was für den Vater ein Hindernis bedeutet: Sie ist die Türkei, die vom Vater/ vom Westen nicht in ihrem ganzen Wesen akzeptiert werden kann und von ihm in stich gelassen wurde. Eigenschuld! Wegen ihrer falschen Mentalität, Religion und Kultur! Der Vater hatte Mätressen, fuhr alleine nach Frankreich. Es sollte sein, weil er mit höheren Dingen beschäftigt war: Mit der Übersetzung der französischen Gedichte, nämlich die Beschäftigung mit der höheren westlichen Kultur. Die fixe Idee von Orhan Pamuk, im Westen (zunächst) ein “anerkannter” Maler und (danach) ein “anerkannter” Autor zu werden, verblendet ihn dermaßen, dass ihm gleichgültig ist, in seinem “Mutterland” beliebt oder verhasst zu sein. Die großen Honorare gibt es in seinem Vater-Land, im Westen... Wenn sich Orhan Pamuk seiner Mutter/ seinem Mutterland nähert, bekommt er die Angst, vom Vater/ vom Westen “kastriert” zu werden. Sein Taschengeld, seine Belohnungen usw. werden eingestellt. Daher ist es vorprogrammiert, dass er seine Mutter/ sein Volk verachten muss. Entweder Mutter und Ohnmacht, oder Vater und Macht. Natürlich identifiziert er sich mit dem mächtigen Vater. Nun muss er seine Mutter/ sein Volk mit bösen, schmutzigen Dingen in Verbindung bringen, damit sein Gewissen beruhigt wird und damit sein Vater ihn wieder liebt und honoriert... Seine leibliche Mutter zwingt sich offenbar, sich über den Erfolg ihres Sohnes zu freuen. (Mutterherz!). Aber die geistige Mutter (das türkische Volk) kann und möchte sich trotz so vieler zwanghafter Reklame und Manipulationsversuchen in den (türkischen) Medien über diesen Preis nicht freuen. Der Durchschnittsbürger in der Türkei denkt: “Orhan Pamuk hat den Nobelpreis bekommen, weil er zunächst sein Land schlecht gemacht hat!” * Eigentlich ist das Ganze karikaturenhaft und tragisch zugleich... Hierbei haben wir mit einer systematischen Heuchelei des Westens zu tun, der seine Spiegelung in der Türkei sucht und findet: Die westliche Ideologie der Differenz bringt entweder ihre braven Mitläufer wie Orhan Pamuk hervor oder aber die Türken, die sofort an die Heuchelei denken, wenn sie das Wort “Westen” hören. Diese Türken haben inzwischen Angst davor, dass ein Türke oder eine Türkin wieder einen Preis im Westen gewinnt. Selbst ich als ein unnachgiebiger Verteidiger der Prinzipien der Aufklärung und ein überzeugter Kämpfer für die Priorität des Individuums vor der Gemeinschaft habe nun immer wieder meine Zweifel, ob selbst diese großen Errungenschaften der europäischen Zivilisation nur für die “Europäer” und teilweise für seine nichteuropäischen nützlichen Idioten gelten... Tragisch und karikaturenhaft zugleich!.. * Schlussbemerkungen: Orhan Pamuk kann und wird sich wohl nicht mehr ändern. Eine Änderung könnte nur in die Richtung gehen, dass er seinen westlichen Ödipus-Komplex ablegt, sich dadurch von diesem Karikaturen-Dasein befreit und sagt: „Liebes türkische Volk, liebe Mutter, liebes Mutterland! Meine Vaterfigur hat mir den Nobelpreis gegeben, weil ich euch erniedrigt habe. Ich habe mich von der Macht des Westens, von seinen großen Preisen und Honoraren anlocken lassen. Ich liebe meine Heimatstadt Istanbul. Die postmodernen Herren der Welt haben mich indirekt beauftragt, eine antitürkische und volksfeindliche Istanbulideologie, einen Istanbulmythos zu konstituieren, weil sie Istanbul den Türken noch immer nicht gönnen möchten. Ich wollte weltweit ‘berühmt’ werden, aber die antitürkische und antiislamische Herren der Welt sagten mir: >>Das ist machbar, aber dafür sollst du durch unser besonderes Zimmer gehen, in dem wir dir einiges zu empfehlen haben, was du für unsere Preise und für deine Berühmtheit machen und sagen muss... Wir als die Demokratiemeister der Welt sagen solche Dinge den versteinerten Kemalisten seit etlichen Jahren. Das hat bisher leider keine große Wirkung gezeigt. Aber wenn du als Türke und Nobelpreisträger solche Dinge sagst, kommen wir bestimmt mit der Türkei ein Schritt weiter...<<>

11 Nisan, 2007

Ist der Diskurs “Ehrenmorde und das Zwangsheiraten der Tochter” ein neues Stigma gegenüber den Türken?[1]
Mehmet Şekeroğlu
Stigma ist ein griechisches Wort. Im alten Griechenland wurden insbesondere auf dem Gesicht der Verbrecher ein Zeichen markiert, damit sie in der Gesellschaft als gefährliche Menschen erkannt werden. Diese Menschen trugen das Stigma wie einen unabwaschbaren Fleck auf dem Gesicht, wodurch sie von anderen, „sauberen“ Bürgern gemieden wurden. Schließlich erfüllten diese Menschen eine Sündenbock-Funktion. Damit sich die normale „Gesellschaft“ „gut“ fühlte, hatte sie diese „Bösen“ entworfen und sich dadurch erleichtert. Die Stigmatisierung wurde während der Nazizeit damit praktiziert, dass man den Juden ein bestimmtes Kleid bzw. das Tragen des Davidsterns auf der Brust ihrer Jacke vorschrieb. Wer dieses Symbol sah, hat sich besser gefühlt, weil er oder sie nicht zu dieser niederen Rasse gehörte. Das Bedürfnis mit dem Bösen zu kämpfen wurde damit von der Boshaftigkeit befreit und hat sich dadurch befriedigt. Außerdem versuchte man mit diesem Stigma die sozialen und wirtschaftlichen Probleme innerhalb der (hier: deutschen) Gesellschaft zu verschleiern. Die wahren Verantwortlichen aller Misere waren eben die stigmatisierten Juden. * Heute wird das Stigma vor allem durch schwarze Propaganda in den Medien, mit Hilfe der Manipulation konstituiert. Zum Beispiel hat die USA den 11. September als einen Anlass genommen, ein Stigma des „islamischen Terrorismus“ zu konstituieren. Vor allem die westlichen Medien haben nach diesem Ereignis monatelang die selben Bilder gezeigt bzw. gesendet: Aufprall der Flugzeuge auf die Gebäude und Rettungssuche der unschuldigen Menschen an den Fenstern! Man hat noch erklärt, dass die „islamischen Terroristen“, die mit den Passagieren in den Flugzeugen gestorben sind, in einem verlassenen Auto vor den Gebäuden u.a. einen Koran hinterlassen haben. Zwischendurch wurden Bin Laden Videos gezeigt, in denen er eine Maschinenpistole in der Hand hält. Immer wieder wurden diese Bilder gezeigt und in der christlichen Welt hat man nun fest daran geglaubt, dass der Islam eine Religion ist, die mit dem Terror zu tun hat, und dass die „islamischen Terroristen“ sehr gefährlich sind. Fazit: „Um die von ihnen ausgehende Gefahr im Vorfeld zu bekämpfen, müssen wir dorthin gehen, wo sie sind. Also müssen wir Afghanistan, Irak, Syrien und Iran besetzen!..“ Auch der Rassismus ist ein Versuch, den Menschen gegenüber, die angeblich aus einer niedrigen Rasse kommen, ein Stigma zu markieren. Es wird behauptet, dass sie bestimmte, biologisch oder kulturell festgelegte, unveränderbare Eigenschaften haben. Egal was sie machen, können sie sich von diesen Eigenschaften nicht befreien. Aus diesem Grund sollen diese Menschen von der höheren Rasse abgesondert, kontrolliert, verwaltet und in manchen Fällen vernichtet werden. Mit dem Rassismus schlägt man mehrere Fliegen mit einer Klappe. Auch arme und schwache Menschen, die sich zu einer „höheren Rasse“ gehörig fühlen, streiten sich wegen der wirtschaftlichen und sozialen Probleme nicht mehr miteinander, zumindest nicht so heftig wie früher, und so verstärkt sich das herrschende politische System. Die Menschen aus der „niedrigen Rasse“ werden wiederum als Sklaven behandelt, ihre Suche nach Emanzipation wird dadurch im Keim erstickt. Weil sie aus einer „niedrigen Rasse“ kommen und dazu noch ein Stigma haben, haben sie kein Recht darauf, gleich behandelt zu werden. Solange sie sich von dem Stigma nicht befreien können, was unmöglich ist, führen ihre Versuche, sich als normale Menschen unter Beweis zu stellen, zu keinem Erfolg. Das Stigma hinterlässt seine Spuren: Egal ob sie den Versuch unternehmen, sich von der stigmatisierten „Rasse“ zu distanzieren, sich mit der „höheren Rasse“ (mit dem Angreifer[2]) zu identifizieren und damit die Menschen der eigenen „Rasse“ selber als „blöd, rückständig, ‚fleischköpfig’“ usw. zu bezeichnen, im Endeffekt werden sie sich von den Stigmata nicht befreien, die von den Herrschenden an ihr Volk oder ihre Kultur angehängt wurden. In Europa geht die Geschichte solcher Stigmatisierungen sehr tief in die Vergangenheit zurück. In Deutschland z. B. hat man vor dem Völkermord an Juden Jahrhunderte lang Mord an Frauen erlebt, die man als „Hexen“ stigmatisierte. Diese angeblich verhexten Menschen konnten tun und lassen, was sie wollten. Wenn sie die Falschheit eines Vorwurfes, eines Stigmas beweisen konnten, wurden sie sofort mit einem anderen Merkmal (Stigma) konfrontiert und konnten den Tod mit barbarischen Methoden nicht entrinnen. Ihr Dasein als Frau war Grund genug, sie zu verfolgen und zu töten. * Der biologische Rassismus, der bis 1945 in Europa und vor allem in Deutschland staatlich praktiziert wurde, ist nach dem 2. Weltkrieg beendet worden. Natürlich hat sich die deutsche Gesellschaft nicht nur wegen des internationalen Zwangs und mit den Sanktionen der demokratischen Gesetze, sondern auch aus der inneren Dynamik heraus demokratisiert: Mit den Bemühungen der Intellektuellen, mit der Wirkung der Studentenbewegung und mit Hilfe der anderen demokratischen Organisationen hat sich in Deutschland eine antirassistische Sensibilität entwickelt. Auf der anderen Seite kann ein gesellschaftliches Phänomen plötzlich, mit den neuen Gesetzen nicht beendet werden. Es wird latent weiter leben. Dieser latente Rassismus lebt in verschiedenen Formen weiter. Auch in Deutschland lebt sowohl ein offener Rassismusdiskurs als auch ein latenter Rassismus, der sich wegen der Gesetze nicht offen artikulieren kann. Die verbreitetste Form des versteckten Rassismus ist der „Kulturrassismus.“ Zunächst möchte ich im Zusammenhang mit dem Kulturrassismus vier Thesen aufstellen, die miteinander verknüpft sind und sich ergänzen: 1. Nach 1945 wurde der biologische Rassismus in Deutschland wegen der äußeren Wirkungen und der inneren Dynamik beendet und hat sich marginalisiert. (Die Neonazis spielen in bezug auf die Mehrheit der deutschen Bevölkerung keine entscheidende Rolle). 2. Trotzdem ist die Ausgrenzung des „Ausländers“, des „anderen“ in den breiten Schichten der Gesellschaft geblieben. Eine der verbreitetesten Form dieses Rassismus, dessen Feststellung nicht leicht ist, heißt Kulturrassismus. 3. Der Kulturrassismus gegenüber den Türken ist in Deutschland seit dem Anfang der türkischen Migration mit Hilfe der verschiedenen Stigmata praktiziert worden. Diese Politik hat eine Kontinuität. 4. Die kulturrassistischen Stigmatas gegenüber den Türken nahmen in den letzten Jahren eine konkrete und eine abstrakte Form an: Das Beispiel für die konkrete Form ist das „Turban“/Kopftuch. Die Frage hierbei ist, ob auch die „Ehrenmorde und frühe Zwangsheirat der Mädchen bei den Türken“ eine der abstrakten Formen dieses Phänomens ist. Auf das „Kopftuch-Stigma“ gehe ich auch später ein. Vorwegnehmend möchte ich hier sagen, dass hierbei das Kopftuch-Tragen der türkischen Mädchen und Frauen zunächst geduldet bzw. gefördert wird, um im Nachhinein auf diese Menschen mit dem Zeigefinger zu zeigen und sagen zu können, dass sie „Vertreterinnen einer ‚gewalttätigen ja sogar terroristischen Religion’“ seien. Was ich hier machen möchte, ist ein Versuch, zu diskutieren, ob auch der Diskurs „Ehrenmorde bei den Türken und die Früh- und Zwangheirat der türkischen Mädchen“ die aktuelle Form der geschichtlichen Stigmabildungen gegenüber den Türken in Deutschland ist. Wie es auch bei den früheren Stigma-Formen der Fall war, wird dieses Thema in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ununterbrochen „heiß“ diskutiert. Die Art und Weise dieses Diskurses entwickelt sich zu einem Kulturrassismus. Ich werde zunächst die bisherigen Stigmatas gegenüber den Türken in Deutschland in ihrer geschichtlichen Reihenfolge erwähnen. Denn um manche Themen verstehen zu können, soll man auf ihre geschichtliche Entwicklung schauen. Dieses „Schauen“ ist nur mit einer These, mit einer Theorie möglich. Meine Hauptthese in diesem Zusammenhang ist die folgende: Die hauptsächliche Türkenpolitik Deutschlands zielt weder auf die Integration noch auf die Assimilation der Türken. Das Bild, dass sich im Zusammenhang der Türken zum Schluss darstellt, sieht wie folgt aus: Die Türken werden in Deutschland als der „Andere“, als das „Gegenvolk“ wahrgenommen und benutzt. Deswegen ist es eine grundlose Legende, dass die politischen Instanzen in Deutschland die Türken assimilieren wollen. Denn es gibt nirgendwo in der modernen Welt ein gelungenes Beispiel der Assimilation, wo die Diskriminierung gegenüber dieser Volksgruppe beibehalten wird. Die ständige Diskriminierung der Türken läuft mit der Stigmatisierung bzw. mit dem Kulturrassismus gegenüber dieser Volks- oder Religionsgruppe parallel. Das heißt: Die Türken werden in Deutschland mit den im Endeffekt zum Kulturrassismus verwandelten Stigmas diskriminiert und ausgegrenzt. Wir werfen jetzt einen geschichtlichen Blick auf diese Stigmata: Ich fange mit dem Jahr 1982 an, habe zwei Quellen von diesem Jahr ausgesucht. Die erste Quelle ist ein Buch, das von der „Landeszentrale für die Politische Bildung“ – Baden Württemberg herausgegeben ist. Es trägt den Titel: „Die Türkei und die Türken in Deutschland.“ Auf dem Titelbild sind die vor einem Imam sitzenden und betenden Türken abgebildet. In einem Artikel, dessen Verfasser nicht angegeben wurde, heißt es: „Der Türke ist von Natur aus optimistisch, was von vielen Mittelmeervölkern gesagt werden kann. Wenn Türken in der Bundesrepublik Deutschland das Wort Integration hören, schalten sie jedoch auf Pessimismus um und lehnen sie ab. Nur einige Tausend unter ihnen, die aus dem moderneren Westen der Türkei kommen, sind bereit zu einem spannungsfreien Zusammenleben mit Deutschen (...). Das Problem liegt somit in der bisher gescheiterten Einbeziehung der Türken aus Anatolien in das hiesige Gesellschaftssystem. Diese Menschen lassen sich selbst in türkische Großstädte nicht integrieren, wo sie wie in der Bundesrepublik am Rande der Gesellschaft leben. Die meisten Türken, die legal angeworben worden waren, stammen aus Anatolien“[3]. Bevor ich auf die zweite Quelle übergehe, soll hier gefragt werden: Was bedeuten diese Thesen? Anscheinend das: „Die Türken haben manche mentalen Eigenschaften wegen ihres Anatolier-Seins. Diese Eigenschaften – genauso wie die rassischen Besonderheiten – können nicht geändert werden. Die Türken können sich nicht in die deutsche Gesellschaft integrieren, weil sie eine unveränderbare Mentalität haben. Die deutsche Gesellschaft kann diese unüberwindbare Barriere bei den Türken nicht überwinden!“ Die zweite Quelle stammt auch aus dem Jahr 1982 und heißt „das Heidelberger Manifest“, das von fünfzehn Professoren von Heidelberg und Umgebung unterzeichnet wurde. Ich zitiere einen Teil: „Völker sind (biologisch und kybernetisch) lebende Systeme höherer Ordnung mit voneinander verschiedenen Systemeigenschaften, die genetisch und durch Traditionen weitergegeben werden. Die Integration großer Massen nichtdeutscher Ausländer ist daher bei gleichzeitiger Erhaltung unseres Volkes nicht möglich und führt zu den bekannten ethnischen Katastrophen multikultureller Gesellschaften. Jedes Volk, auch das deutsche Volk, hat ein Naturrecht auf Erhaltung seiner Identität und Eigenart in seinem Wohngebiet. Die Achtung vor anderen Völkern gebietet ihre Erhaltung, nicht aber ihre Einschmelzung (“Germanisierung”). Europa verstehen wir als einen Organismus aus erhaltenswerten Völkern und Nationen auf der Grundlage der ihnen gemeinsamen Geschichte. ‘Jede Nation ist die einmalige Facette eines göttlichen Plans’ (Solschenizyn)”[4]. Einerseits wird die Integrationsfähigkeit der anatolischen Menschen mit den kulturrassistischen Begriffen abgesprochen, andererseits wird mit den biologisch begründeten Argumenten behauptet, dass eine Integration der Immigranten (natürlich vor allem Türken) in die deutsche Gesellschaft einer Katastrophe gleichkommt und daher abgelehnt werden muss. Parallel dazu wurde in den 80er Jahren an den deutschen Universitäten ernsthaft diskutiert und behauptet, dass die Türken wegen ihrer Nomaden-Mentalität nicht in der Lage wären, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Sie behaupteten noch, dass die Gewalttätigkeiten bei den türkischen Jugendlichen daran liege, dass sie aus einer nomadischen Kultur stammen und die nomadischen Kulturen gewaltorientiert seien... Eine andere Besonderheit der 80er Jahre war die Einführung der Ideologie der „multikulturellen Gesellschaft“, durch deren Hilfe die Immigranten die Solidarität untereinander aufgaben. Diese vor allem von den Grünen aus den USA importierte Ideologie hatte im Endeffekt Erfolg. Ein wesentlicher Teil der Türken entdeckten mit Hilfe dieser Ideologie, dass sie keine Türken waren, sondern Kurden, Araber, Lazen usw. Insbesondere den kurdischstämmigen Menschen aus der Türkei wurde suggeriert, dass sie aus einer indogermanischen Rasse stammen und daher mit den Deutschen (mit den Worten der Nazis zu sprechen: „Mit den Mitgliedern einer höheren Rasse“) verwandt seien. Nach dem Motto: Die Kurden haben mit den Türken nichts zu tun, sie sind nicht türkisch, sondern indogermanisch![5]. Das „Kurdenproblem“, das der PKK überlassen wurde, wurde mit Hilfe der Grünen und anderen offenen oder versteckten Manipulatoren das Hauptproblem der Türken in Deutschland gemacht. Die von den Medien gehetzten Deutschen (insbesondere die sogenannten Demokraten) grüßten ihre türkischen Nachbarn oder Bekannte nicht mehr, weil sie an diesem Türken einen potentiellen„Kurdenmörder“ gesehen haben. Hunderte von Anschlägen (Sabotagen) der PKK, die in den 90er Jahren die türkischen Einrichtungen und Unternehmen in Deutschland verwüstet hatten, blieben unaufgedeckt und ihre Täter unbestraft. Selbst der verhaftete Organisator dieser Anschläge, Kani Yılmaz (Faysal Dunlayıcı) wurde nach den theatralischen Gerichtsverhandlungen auf freien Fuß gesetzt[6]. Außerdem wurden die Organisationen wie Kaplancılar, Milli Görüs, Süleymancılar, Nurcular usw. genauso wie die PKK geduldet bzw. indirekt gefördert. So wurde die türkische Gesellschaft im Namen der Multikulturellen Gesellschaft unter verschiedenen Ethnien und Konfessionen in feindliche Fronten zersplittert. Die politischen Instanzen in Deutschland haben in den 90er Jahren die Duldung bzw. Unterstützung der Gruppen fortgesetzt, die eine Integration in die deutsche Gesellschaft strickt ablehnten. Einerseits wurde diese Duldung bzw. Unterstützung beibehalten, andererseits wiederum wurde gegenüber den Türken die Propagandaaktionen für die Bildung von Stigmas fortgesetzt. Wir schauen einmal diese neuen (und alte) Stigmata an: - Einerseits wurde die PKK als die „Vertreter der Kurden“ geduldet, andererseits aber der Drogenhandel und die Gewalttaten der PKK auf die Rechnung der Türken zugeschrieben, weil die PKK-Aktivisten hauptsächlich türkische Staatsbürger waren. Einerseits wurden die „Türken“ und die kurdischstämmigen „Türken“ gegeneinander ausgespielt, andererseits wurde das Stigma mit den gewalttätigen Türken aufrecht erhalten, die außerdem mit Drogen handelten. So wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen[7]. - Das Vorgehen der türkischen Armee gegen die PKK-Kämpfer in der Türkei wurde von den deutschen „Entels“ (Halbintellektuelle) und Politikern aber auch von den türkischen „Entel-Kegeln“ („Entel-Kegel“ nenne ich die türkischstämmigen Halbintellektuellen, auf die ich nachher noch kurz eingehen werde) und Politiker in Deutschland in einer Art und Weise kritisiert, dass dadurch die in Deutschland lebenden Türken beleidigt bzw. erniedrigt wurden. Z. B. hat sich Gerhard Schröder, damaliger Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, über einen Spruch der damaligen türkischen Ministerpräsidentin Tansu Çiller (sie sagte im Zusammenhang des PKK-Terrors: „Dieses Problem wird entweder gelöst, oder gelöst!“) „geärgert“ und daraufhin Çiller vorgeworfen, „das Kurdenproblem mit ‚Endlösung’ lösen zu wollen!“ (Das geschah übrigens an einem Festtag, am 19. Mai, der zufällig sowohl ein Feiertag des islamischen Opferfestes als auch ein nationales Feiertag war: Der 19.05.1919 gilt in der Geschichte der türkischen Republik als der Tag des Anfangs des Befreiungskrieges). Man könnte Schröder auch wie folgt interpretieren: An so einem Tag wollte er den Türken in Deutschland das friedliche Zusammenleben mit Deutschen und „Kurden“ streitig machen, indem er den Türken sozusagen mitteilen wollte: „Euere Ministerpräsidentin übt gegenüber den Kurden eine Politik der ‚Endlösung’, wie damals Hitler mit den Juden gemacht hat. So gesehen führen in eurem Lande die Menschen mit Nazimentalität die Regierung!“[8] Genau so einen Vergleich machte auch der Grünen-Abgeordnete Siegfried Martsch während einer Fernsehsendung[9]. Dort verteidigte Martsch die PKK-Thesen und sagte noch, dass in bestimmten Situationen legitim sei, Gewalt anzuwenden. Die Gefangenen in den Konzentrationslagern der Nazis hätten das Recht, sich dagegen zu wehren und zu rebellieren. Dies wäre eine positive Gewalt[10]. Was hier versucht wird, ist nichts anderes als, dass den Türken ein Stigma genauso wie bei den Nazis verpasst wird. „Die Türken haben eine Mentalität der Nazis! Sie machen mit Kurden genau das, was die Nazis mit den Juden gemacht haben!“ - In dieser Zeit wurde einerseits ein barbarisches Türkenbild („Türken als Kurdenmörder“) konstituiert, andererseits wurde wiederum mit der Konstituierung eines neuen Feindes angefangen: Nämlich das „Feindbild Islam“. Diese neue Politik sah für die türkischen Immigranten in Deutschland zwei „islamische„ Organisationen vor: Milli Görüş und Kaplancılar (Süleymancılar, Nurcular usw. spielen die Nebenrollen). Insbesondere die Bewegung von Cemalettin- und dann von Metin Kaplan wurde als ein Phantom, als das „Böse“ schlechthin aufgebaut. „Terroristische Organisation“, „Hassprediger“, „Integrationsfeindlich“ usw. waren Schlagwörter dieser Politik. Eine Übertreibung ohne gleichen. Denn diese Vorwürfe passten überhaupt nicht auf die reale Gefahr, die aus dieser Bewegung von ein paar Hunderten Menschen entstehen könnte, die ja genau wie Metin Kaplan rund um die Uhr bewacht wurden. So erfüllte Metin Kaplan ein Stigma des „terroristischen Islams“. Als er im Jahre 2004 nach vielen Skandalen in die Türkei abgeschoben wurde, hatte er seine Schuldigkeit getan: Das Islambild der einfachen deutschen Bevölkerung wurde auch mit Hilfe von Metin Kaplan geprägt. Das in den Medien Tausende Male gezeigte oder gesendete Bild von Metin Kaplan sah wie folgt aus: Er mit einem Vollbart hat einen ganz ernsten Gesichtsausdruck: In seiner rechten Hand hält er ein Schwert (des Islams), in seiner linken Hand ist der Kolbenhals des Schwertes. An dem Hintergrund hängt die grüne und mit arabischer Schrift gefüllte Fahne seines „Islam-Staates“ in der Türkei (Anadolu Federe İslam Devleti). Die Hand von einem Unbekannten hält vor dem Schwert einen Koran: Das Bild zeigt eben den gefährlichen und gewaltorientierten Islam: Koran und Schwert (Krieg, Gewalt, Terrorismus) gehören zusammen!.. Auch Milli Görüş erfüllt seit Jahren so eine Funktion. Diese Organisation lässt sich als ein Phantom des „bösen und antidemokratischen Islams“ missbrauchen. Das hier gebastelte Bild, das von dem türkischen Islam vermittelt wird, sieht genauso aus, wie es sich manche Sozialingenieure in Deutschland gerade wünschen: Der osmanisch- bzw. arabisch orientierte, fanatische Türke, der an der rückständigsten Form des Islams festhält und keine Integration in die deutsche Gesellschaft möchte. Auch mit Hilfe von Milli Görüş werden die in Deutschland lebenden türkischen Immigranten mehrfach „geteilt“. Laizistisch-antilaizistisch; gläubig-ungläubig; verschleierte-nicht verschleierte usw. - In den 90er Jahren wurde einerseits das Stigma „Türken als Kurdenmörder“ verbreitet, andererseits bastelte man allgemein an dem Stigma der „gewalttätigen Türken“ weiter. Ich möchte diesbezüglich vier Beispiele geben. Erstens: Der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeier führte mit seinem Forschungsteam eine „sozialwissenschaftliche Untersuchung“ über die „religiös begründete Gewaltbereitschaft der türkischen Jugendlichen“[11] durch. Dort stellten Prof. Heitmeier und seine Mitarbeiterinnen fest, dass die Mehrheit der türkischen Jugendlichen eine religiös (islamisch) begründete Gewalt befürwortet. Diese „Auftragsarbeit“ verdient keine weitere Diskussion. Zweitens: Kriminologe Prof. Christian Pfeiffer hat wiederum in einer „wissenschaftlichen Untersuchung“ festgestellt, dass die türkischen Kinder in der Familie Gewalt erleben und später ihren Kindern und Frauen selber Gewalt ausüben. Auch diese „Wissenschaftlichkeit“ mit den pauschalen Urteilen verdient keine nähere Aufmerksamkeit. Denn bei diesen Untersuchungen steht das Endergebnis schon am Anfang der Forschung fest. Wenn Prof. Heitmeier oder Prof. Pfeiffer herausfinden wollen, dass in den türkischen Familien „Gewalt“ herrscht, finden sie schließlich überall diese Gewalt, ohne jedoch die gesamtgesellschaftlichen, die Ausländer/ Türken diskriminierenden, z. T. rassistischen Strukturen und die latente/ subtile „Gewalt“ in diesen Strukturen zu erwähnen. Drittens: In den 90er Jahren hat ein türkischer Junge namens Muhsin Arı bzw. „MEHMET“ zunächst in München dann bundesweit viel Diskussionsstoff über die Kriminalität der türkischen Jugendlichen geliefert. Er übernahm quasi die Rolle von Metin Kaplan in einem anderen Bereich. Den Jungen nannte man besonders MEHMET[12], ein Name, der den türkischen Mann symbolisieren sollte, wie der Name HANS für einen Durchschnittstürken den Deutschen symbolisiert. Dieser damals 16 jährige gewalttätige „türkische“ Junge, der in Deutschland großgeworden war, sollte eigentlich ein deutsches Problem sein. Aber nein! Am Beispiel vom „unverbesserlichen Gewalttäter“ „Mehmet“ propagierte das Land Bayern bundesweit und jahrelang ein bestimmtes Stigma gegenüber den Türken. Anstatt ihn zu bestrafen bzw. mit verschiedenen Maßnahmen gesellschaftsfähig zu machen, wählte man den Weg der schwarzen Propaganda, der Sensibilierung der deutschen Bevölkerung durch ihn. Viertens: Die feministische Zeitschrift EMMA, dessen Führerin Alice Schwarzer ist, hat nach der Ermordung von fünf Türkinnen in Solingen im Jahre 1993 durch die Neonazis einen Artikel unter dem Titel „Fundamentalismus“ veröffentlicht. Nach der Ermordung der schlafenden Kinder und Frauen demonstrierten die Türken in Solingen und dabei haben die randalierenden türkischen Jugendlichen die Fenster der Geschäfte und Banken in der Stadt zerschlagen. Im Artikel von EMMA wurden diese Jugendliche „islamische Jugendliche“ genannt und ihre Gewalttaten mit dem Massaker der neonazistischen Jugendlichen gleichgesetzt. Nach den Autorinnen sind die beiden Jugendgruppen (Neonazis und „islamische“ Jugendliche) von dem selben Instinkt motiviert worden: Einige bringen Menschen um, die anderen zerschlagen die Scheiben! Beides sind gewalttätige, fanatische, wilde Männer... Die Kämpferinnen von EMMA wollten diese Behauptung bezüglich der „islamischen“ Männer auch unter Beweis stellen. In gegenüber stehenden zwei Seiten haben sie ein blutiges Bild mit mehreren türkischen Männern abgebildet: Unten liegt flächendeckend das Blut der geschlachteten Opfertiere, erlegte und zerstückelte Tiere. Die schwarzhaarigen und schnurbärtigen Männer hocken um das Blutbad und geben Pose auf die Kamera. Die Botschaft ist deutlich: Blut, Gewalt, Islam, brutale türkische Männer[13]... - In den 90er Jahren – bis zum Jahr 2005 – wurde der „Turban“ (auch) gegenüber den Türken als Stigma konstituiert, aufgebaut, d.h., geduldet und gefördert. (Ich nenne es bewusst nicht „Kopftuch“, denn das Kopftuch unserer Mütter oder unserer Tanten sah völlig unterschiedlich aus. „Turban“ ist ein politisches Symbol, das in die Türkei und nach Deutschland aus den mit der USA zusammen arbeitenden und an Öl-Dollars reichen arabischen Länder durch dunkle Kanäle importiert und verbreitet wurde, in welche die westlichen „Vermittler“ und die östliche „islamische Elite“ Hand in Hand arbeiten). Interessantes aber für die Logik der von mir oben geschilderten Stigma-Theorie nicht unverständliches Spiel hierbei ist: Die politischen Instanzen in Deutschland, die fundamentalistische „Islamsekten“ dulden und fördern, nahmen in ihre „Berechnung“, dass die türkischen Mädchen und Frauen in Deutschland einen „Turban“ tragen. Es ist eine selbstverständliche Reaktion, dass mancher sogenannte Menschenrechtler bzw. manche Menschenrechtlerin diese meine Thesen als Verschwörungstheorie ablehnen werden. Aber die Stigmatheorie und viele Ereignisse zeigen, dass dies mit der „Glaubensfreiheit“ nichts zu tun hat. In Berlin z. B. darf die von der islamisch-fundamentalistischen Milli Görüş gesteuerte Islamföderation in den Schulen den Islamunterricht erteilen. Milli Görüş arbeitet wiederum seit Jahren daran, dass sich die türkischen Mädchen in Sport- und Schwimmunterricht beteiligen. Diese Organisation propagiert, dass die islamischen Mädchen unbedingt ein „Turban“ tragen müssen und sie tut alles, den „Turban“ zu verbreiten. (Natürlich ist Milli Görüş in dieser Arbeit nicht allein. Es gibt noch mehrere „islamische“ Organisationen, die diese Arbeit unter den Augen und der Kontrolle der deutschen Behörde fortsetzen). Die rechtlichen und politischen Instanzen in Deutschland sagen aber dem einerseits geduldeten und geförderten „Turban“ ab einem bestimmten Punkt „halt“, wenn es um die Arbeit in den staatlichen Einrichtungen geht. Viele berühmte deutsche Professoren und Professorinnen, Ausländerexperten unterstützen diese „Turbanisierungs-Aktivitäten“ der türkischen Mädchen mit dem Argument, dies sei ein Gebot der Demokratie und der Menschenrechte. Traurig ist jedoch festzustellen, dass diese berühmte Herren und Frauen in ihren Arbeitsstellen keine „turbantragende Frau“ sehen möchten, obwohl sie diese Ablehnung nicht offen ausdrücken würden. Andererseits bezeichnen die berühmtesten Orientalisten und Islamexperte Deutschlands Udo Steinbach und Peter Heine den „Turban“ „als Symbol der anständigen Frau (in der Türkei)“[14]. So wird der „Turban“ von dem Kopftuch unserer Mütter abstrahiert und zu einer Grenze, zu einem Stigma wie Metin Kaplan bzw. „MEHMET“ (Muhsin Arı) verwandelt, durch das die türkische Gesellschaft von der deutschen Gesellschaft getrennt werden soll. Außer einige wenige marginalisierten Ausbildungs- und Arbeitsbereiche bekommen diese turbanisierte Mädchen keine vernünftige Stellen. Nur manche Türkinnen, die als „Leithammel“[15] benutzt werden[16], um die türkischen Mädchen in den „Turban“ zu stecken, werden als „Vermittlerinnen“ gebraucht. Sonst wird den turban-tragenden Mädchen seitens der deutschen Bevölkerung entweder mit offener oder versteckter Wut oder mit einem überheblichen Mitleid entgegnet. Denn sie sind die deutlichsten Beispiele der islamischen Religion, die im Vorfeld als „terroristisch“ erklärt werden. Die deutsche Bevölkerung reagiert hier mit einem pawlowischen Reflex, so dass sie in der Regel sofort wütend wird, wenn sie eine verschleierte d.h. eine schon mit einem „Turban“ stigmatisierte Frau[17] sieht. Das Traurigste bei der „Turbanfalle“[18] ist, dass dieses Symbol, wie es beim Davidstern der Fall war, die Arbeit des Rassisten erleichtert. Im normalen äußerlichen Vergleich kann man eine braunhaarige deutsche Frau von einer türkischen Frau nicht unterscheiden. (Die Haare können ja auch gefärbt werden). Aber der „Turban“ bietet denjenigen Menschen die beste Möglichkeit, die „Ausländer“ sowieso ausgrenzen wollen. Insbesondere manche deutsche Frauen, die sich als „modern“, „fortschrittlich“, „frei“ usw. betrachten, brauchen diesen „Nervenkitzel“, um sich besser fühlen zu können. So dulden bzw. unterstützen auch sie den „Turban“ meistens unbewusst, weil sie nur durch ihn die „bösen Anderen“ erkennen, ausgrenzen und dabei sich aufgehoben fühlen können[19]. - Ein anderes Stigma gegenüber den Türken in Deutschland ist die sog. These vom „Genozid an Armeniern durch die Jungtürken“. Die gleiche Mentalität, die den Kampf der türkischen Armee gegen die PKK mit der Judenverfolgung vergleicht, ist auch hier am Werke. Ohne einen konkreten Beweis eines geplanten Völkermordes an Armeniern – wie es bei der Judenvernichtung in Deutschland der Fall war – wird die Türkei auch vom deutschen Parlament gezwungen, „den Völkermord anzuerkennen.“ Viele manipulierte Deutsche glauben daran, dass Hitler „wer spricht heute noch von Armeniern“ gesagt hat, als er sich entschied, Juden zu vernichten. Wann und wo er so etwas gesagt haben soll, bleibt unklar. Trotzdem hat sich das deutsche Parlament am 16.06. 2005 entschieden, dass ein „Völkermord an Armenien“ durch die Türken stattfand. So möchte man auch die in Deutschland lebenden Türken als Angehörige einer Nation stigmatisieren, die in ihrer Vergangenheit einen Völkermord begangen haben. * Nun komme ich auf das eigentliche Thema meines Aufsatzes. Nämlich auf die Frage, ob der Diskurs “Ehrenmorde und das Zwangsheiraten der Tochter” ein neues Stigma gegenüber den Türken ist? Von meinen bisherigen Thesen bzw. von der Logik der Stigmatisierungstheorie ausgehend bejahe ich diese Frage. Bevor ich aber meine Argumente erläutere, möchte ich von einer „Vermittler-Schicht“ innerhalb der (hier: türkischen) Immigranten sprechen, die bei den Stigmatisierungsaktivitäten an den Türken eine entscheidende Rolle spielt. Die deutschen Sozialingenieure wählen ihre Vermittler natürlicherweise aus der türkischen Gesellschaft. Die meisten der türkischen Vermittler bekommen erst dann einen Arbeitvertrag, wenn sie akzeptieren, als Vermittler tätig zu sein. Wenn z. B. die politischen Instanzen das Projekt “multikulturelle Gesellschaft” umsetzen wollen, entwickelt der Vermittler-Türke oder die Vermittler-Türkin Projekte in dieser Richtung. Sie gründen Vereine mit diesen Namen, können (nur) dadurch ihre Arbeit fortsetzen. Wenn das Projekt “multikulturelle Gesellschaft” beendet ist und jetzt ein anderes Projekt wie z. B. “interkulturelle Arbeit” im Gange ist, werden dann Vereine unter diesem Namen gegründet, werden Projekte in dieser Richtung unterstützt. Diese von oben gesteuerte Politik sieht vor, dass die türkische Vermittler-Schicht hierbei mitmacht. Und natürlicht macht sie mit! Denn, wie ein türkisches Sprichwort sagt, “das Brot ist im Munde des Löwen” (“Ekmek aslanın ağzında”) und es ist nicht leicht, das tägliche Brot zu verdienen. Der Löwe bestimmt eben, was man machen soll, ans Brot zu kommen. Klar: Jeder soll dafür manche Kompromisse eingehen! Sie merken sehr schnell, dass sie austauschbar sind, wenn sie sich in ihrer “Zusammenarbeit” kritisch und zögerlich verhalten[20]. Dieser Schicht möchte ich zunächst einen Namen geben: Ich möchte sie als „Entel-Kegel“ bezeichnen. Der Begriff „Entel“ bedeutet im türkischen „Halb-intellektueller“. Das Wort Kegel nehme ich von dem Spruch „Kind und Kegel“. „Kind“ heißt hier das eigentliche Kind Deutschlands. “Kegel” hingegen symbolisiert das Kind von der zweitrangigen Beziehung, nämlich ein nicht (ganz) deutsches, d.h. ein ausländisches Kind. Diejenigen Türken oder Türkinnen, die von den deutschen Sozialengineuren als Vermittler gewählt werden, sind eben “halbintellektuelle Kegel”, die niemals wie die echten Kinder behandelt werden. Sie haben eine bestimmte Funktion in einer bestimmten Ausländer- bzw. Türkenpolitik. Sonst werden sie weder wahr- noch ernst genommen. Noch etwas über die Entel-Kegel: So wie Gramsci von den “organischen Intellektuellen”[21] spricht, die jede Schicht aus eigenem Inneren hervorbringt, stammen auch die Entel-Kegels aus allen Gesellschaftsschichten bzw. aus allen Ideologien: Es gibt Entel-Kegel aus der Reihe der Islamisten, der Liberalen, der Nationalisten, der Sozialisten, der Konservativen, der ethnisch-Orientierten, der menschenrechtlich-Tätigen usw. Im Grunde erfüllen sie eine Balance-Funktion für das herrschende System bzw. für die Bewahrung der herrschenden wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Den Entel-Kegels ist in allen Bereichen der Gesellschaft zu begegnen[22]: In der Sozialarbeit, in der Politik, in der Universität, in der Schule, in den türkisch-deutschen Vereinen, in den Türkei-Studien-Institutionen usw. Natürlich sind sie sich ihrer Situation nicht bewußt. Denn sie sind mit der Lage im Grunde zufrieden, in der sie sich befinden. Sie haben wegen ihrer Arbeit einen bestimmten Lebensstandart und einen Bekanntheitsgrad erreicht, die sie ansonsten (auf den anderen Wegen) hätten nicht erreichen könnten... Eine andere wichtige Eigenschaft der Entel-Kegel ist, dass sie ein ausgeprägtes Gespür dafür entwickeln, fast instinktiv zu wissen, was bei den deutschen Sozialengineuren und sozialen- und politischen Instanzen, die die Türkenpolitik in Deutschland gestalten, ankommt und was nicht. Mit Hilfe dieser chameleonischen Anpassungsfähigkeit können sie sich immer über Wasser halten[23]... Nun komme ich zum Thema “Ehrenmorde und zu das Zwangsheiraten der Tochter” zurück: Wenn die (nicht genau lokalisierbaren) Stigmatisierungsexperten in Deutschland dieses Thema als Schwerpunkt in bezug auf Türken einführen möchten, melden sich natürlich genug freiwillige türkische Vermittler, die in diesem Projekt gerne mitarbeiten wollen: Die Entel-Kegel! Es stellt sich hier die Frage: Was ist der Unterschied zwischen diesen Entel-Kegeln und Metin Kaplan? Der letzte läßt sich im Namen der Religion mißbrauchen und die Entel-Kegel wiederum im Namen der sog. Menschenrechte, Demokratie bzw. Multikulturalität oder Interkulturalität. Auf der anderen Seite, das ist eben das Fatalste in diesem Phänomen, dass sie tatsächlich daran glauben, dass ihre Aktivitäten mit den Menschenrechten, mit der Demokratie, mit der Glaubensfreiheit, mit der Selbstentscheidung über das eigene (vor allem ethnische und religiöse) Schicksal usw. zu tun haben. Der Grund dieses Glaubens ist nicht nur die Tatsache, dass ihr Egoismus ihr Bewußtsein verblendet und sie hindert, die Wahrheit zu sehen. Tatsächlich ist das Thema, über das sie arbeiten, ein sehr wichtiges, im ersten Blick ein große Emotionen erweckendes und verblendendes Thema, weil es hierbei hauptsächlich um die Begriffe “Menschenrechte” und “Demokratie” geht. Man macht einen Halt, wenn von den “Ehrenmorden”, von der “Klitorisbeschneidung”, von den “Frauenrechten”, von dem “Zwangsheiraten der Mädchen” usw. die Rede ist. Wenn z. B. manche Entel-Kegel das Thema “Ehrenmorde und das Zwangsheiraten der Tochter bei den Türken“ untersucht und kritisiert, denkt man zunächst, dass diese Arbeit eine ehrenwürdige, höchsmenschliche, demokratische Bemühung ist. Wenn jemand wie ich gerade bei so einem Aspekt eine Stigmatisierungspolitik entdeckt und auf die Gegenkritik setzt, wird er sofort mit den Schlagworten wie “Türkisch-Nationalist”, “Verteidiger der Männerherrschaft” usw. angeschuldigt. Ich werde mit der Frage konfrontiert, ob ich dagegen bin, dass diese “demokratisch gesinnte Menschen” die Ehrenmorde bzw. das Frühheiraten der Töchter kritisieren und abschaffen wollen. Ich kann leider kein bisschen glauben, dass diese Menschen demokratisch bzw. menschenrechtlich motiviert sind. Wenn man die Herangehensweise und die Verallgemeinerungen in ihren “Untersuchungen” – besser gesagt: in ihren Behauptungen – liest, versteht man gleich, dass ihre Tätigkeiten eine Fortführung des Stigmas Metin Kaplan bzw. Muhsin Arı (“MEHMET”) ist. Man bekommt das Gefühl, dass, was hier gemacht wird, nichts anderes ist als die übliche Manipulation der deutschen Öffentlichkeit. Gleichzeitig wird in allen Medienanstallten über dieses besondere Thema diskutiert, als ob jemand auf einen Knopf gedrückt hätte, der nichts anderes will, als die herrschenden Machtverhältnisse zu verschleiern und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Erscheinungsformen zu ziehen, die nur ein Ausdruck der ungleichen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind... Gleichzeitig zu den Ehrenmorden redet man nur von dem Machoverhalten der türkischen Jugendlichen, von den “Zwangsheiraten der Tochter bei den Türken,“ so wie einmal über Metin Kaplan, über Muhsin Arı, über den sog. „Armenier-Masakker“ der Türken oder aber allgemein über die „Asylantenflut“[24] usw. geredet, geschrieben und gesendet wurde. Den Entel-Kegeln geht es eigentlich nur um die Umsetzung einer Agenda, deren Initiatoren und ihre Absichten sie weder wissen noch wissen möchten. Sie machen ja nur ihre (demokratieorientierte) Arbeit, erfüllen ja ihre nach den menschenrechten orientierten Pflichten. Sie seien demokratisch gesinnt und dies hier sei eine gute, demokratische Sache. Der Rest interessiert sie nicht. Weder die herrschenden Machtverhältnisse noch der Kapitalismus und die imperialistische Globalisierung. Weder die wirtschaftlichen Machenschaften des Imperialismus und Kapitalismus noch ihre Versuche, die wirtschaftlichen Probleme des „Südens“ („Reichsfeinde“, „die neuen Barbaren“[25]) mit kulturrassistischen Stigmatisierungen (Beispiele: „Die islamischen Terroristen“, Mohammedkarikaturen usw.) zu verschleiern. Nein! Die Entel-Kegel haben keine emanzipatorische Kritik an die Herren dieser Welt. Anstatt den imperialistischen Mächtigen die Ausbeutungs- und Stigmatisierungspolitik streitig zu machen, beschäftigen sie sich mit den Themen, die ihnen von diesen Mächtigen vorgelegt werden[26]. Max Horkheimer sagte einmal: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen!” Auch die Entel-Kegel und ihresgleichen sollten über den sogenannten Zwangsheiraten der türkische Mädchen und über die Ehrenmorde in der Türkei schweigen, wenn sie über die kulturrassistischen Absichten und machenschaften ihrer Herren nicht reden wollen[27]. * Der „türkische“ Regisseur Fatih Akın hat im Jahre 2004 für seinen Film „Gegen die Wand“ den Goldenen Bären gewonnen. Ein Film, der von der Gewalt in der türkischen Familie und von dem Widerstand einer jungen Türkin gegenüber ihrer Familie handelt. Die Hauptdarstellerin, die vor diesem Film nur Pornofilme gedreht hat, bekommt den Preis für die beste Darstellerin. (Ob ihre Wahl für so einen Film eine bewusste Entscheidung der „Regisseure“ war, kann ich natürlich nicht wissen!). Genau während dieser Zeit wurde das Buch von Necla Kelek über die Zwangsheiraten der türkischen Mädchen mittels der Medien über Nacht berühmt gemacht. Gleich darauf (2005) gibt der damalige Innenminister Otto Schily Necla Kelek den Geschwister–Scholl–Preis, der ja den Menschen gegeben werden sollte, die für die Freiheit kämpfen[28]. Necla Kelek „beweist“ in ihrem Buch, dass die türkischen Männer wegen ihrer islamisch geprägten Mentalität ihre Töchter zwangsheiraten, gegenüber ihren Kindern und Frauen Gewalt ausüben. Sie wird überall eingeladen, hält Vorträge in den Kirchen, Schulen, Universitäten. Die Zeitungen, Radios, Fernsehprogramme zeigen und loben sie und ihre Thesen. In verschiedenen Anlässen gibt sie den türkischen Männern Hinweise, wie sie sich demokratisch und menschenrechtsorientiert verhalten sollten. Das Türkenbild, das sie und ihresgleichen der deutschen Gesellschaft vermitteln, ist die Fortsetzung des alten Bildes: „Die Türken sind gewalttätig, sie gehören einer gewaltorientierten (terroristischen) Religion an, sie zwingen ihre Töchter früh mit älteren Männer zu heiraten, die türkischen Männer schlagen ihre Kinder und Frauen... Das alles ist mit der Demokratie und den Menschenrechten in Deutschland nicht zu vereinbaren!“[29] Nun haben jetzt die türkischen Immigranten in Deutschland nach „wilder, integrationsunfähiger Anatolier“, Metin Kaplan, Muhsin Arı („Mehmet“), „terroristischer Islam“, „Turbanträgerin“, „Armenier-Erdmorder“ ein neugeborenes Stigma, dessen Vater die deutschen Sozialengineure und dessen Hebammen Necla Kelek und ihresgleichen sind: Das Stigma, dass die Türken Ehrenmorde ausüben und ihre Töchter zwangsheiraten[30]. [1] Meine deutschen Freunde fanden meine folgende Kritik an die „deutsche Politik“ teilweise zu scharf. Auf der anderen Seite lobten fast alle türkischen Freunde den Inhalt dieses Essays. Ich glaube, dass gerade dieser Widerspruch meine Bemühungen gerechtfertigt, eine grundlegende Kritik an die besondere Stigmatisierungs- bzw. Sensibilisierungspolitik in Deutschland gegenüber den Türken zu schreiben. Denn diese negative oder positive Aufregung von beiden Seiten ist für mich ein Beweiß dafür, dass es sich hierbei um einen erforderlichen „Diskussionsstoff“ handelt, der damit eine wichtige Funktion erfüllen könnte. [2] Zu diesem Phänomen siehe: Anna Freud: Das Ich und die Abwehrmechanismen. Frankfurt am Main 1994. [3] Zwischen den Stühlen: Die Türken in der Bundesrepublik. (Autor nicht angegeben). S. 85-93, Hier: 88-89. Die Türkei und die Türken in Deutschland. Hrsg.: Die Landeszentrale für Politische Bildung Baden Württemberg, Stuttgart 1982. [4] Zit. nach: Tageszeitung von 25.01.1982, S. 3. [5] Siehe dazu: Udo Steinbach im Gespräch: SAT I am 20.03.1995, um 7.30 Uhr. [6] Vgl. hierzu: Dietmar Ostermann: Frankfurter Rundschau, 12.02.98, S. 5; Jürgen Voges: „Haftstrafe, aber frei“. Tageszeitung, 12.02.98, S.6; Jürgen Gottschlich: „Erfolgreiche Deeskalation“. Die Tageszeitung vom 14.01.98, S. 12 [7] Ich behaupte hier nicht, dass der Staatsanwalt bzw. die Gerichte zusammen gezielt für die Stigmatisierung der Türken arbeiten. Mir geht um das Endergebnis, d.h. das Gesamtbild, das wegen einer ambivalenten „Türkenpolitik“ im Endeffekt zu Stande kommt. [8] Mir geht hierbei keinesfalls um die Verteidigung von Tansu Çillers, deren Regierungszeit auch mit Korruptionen der Machtelite verschattet war. Mein Schwerpunkt ist hier die Kritik der Stigmabildungen in der deutschen Türkenpolitik. [9] Hessen 3, Alabama, 18.04.1994. [10] Vgl. Mehmet Şekeroğlu: Alman Demokratlarına Mektuplar. İstanbul 1998, S. 108. [11] Wilhelm Heitmeier & Joachim Müller & Helmut Schröder: Verlockender Fundamentalismus, Türkische Jugendliche in Deutschland. Frankfurt am Main 1997. [12] In Deutschland hätte ein MEHMET keine Chance, wenn er wegen der Diskriminierung seines Namens wie in diesem Fall ins Gericht gehen würde. [13] EMMA, Juli/ August, 1993. Köln. S. 38-39. [Verfasser(in) wurde nicht angegeben]. [14] Vgl. dazu: Peter Heine: Konflikt der Kulturen oder Feindbild Islam, Alte Vorurteile – neue Klischees – reale Gefahren. Freiburg im Breisgau, 1996, S. 139. Udo Steinbach: Ein überschätztes Stück Stoff. Aber auch mehr als ein Kleidungsstück. In: E&W 11-2003, S. 33. Diese These bedeutet im Klartext: “Die nichtverschleierten türkischen Frauen sind ‘unanständig’“. [15] Leithammel sind Tiere, die in den Schlachthöfen dem Schlachter helfen, die Schafe und Lamme zum Schlachthof zu transportieren. Dieser Begriff soll nur als eine Analogie verstanden werden. Hier geht es um eine Vermittlerschicht, die ihren Lebensunterhalt dadurch verdient und ihren Lebenssinn darin findet, bewusst oder unbewusst für den Nachteil des Ihresgleichen (hier: Benachteiligten) zu arbeiten. [16] Auch hier kann ich kein bestimmter Adressant feststellen, der eine „Verschwörungsarbeit“ leistet: Auch der „Leithammel“ ist nichts anderes als ein Endergebnis einer bestimmten allgemeinen Ausländer- bzw. Türkenpolitik in Deutschland. [17] Natürlich wird diese negative Wahrnehmung seitens der Außenwelt von den turbantragenden Mädchen und Frauen nicht erachtet. Sie fühlen sich, d.h. die Besonderheit ihrer Religion, erst recht dann bestätigt, wenn sie von den „Christen“ bzw. „Ungläubigen“ angemacht oder böse angeguckt werden. Die sog. „Christen“ und „Ungläubigen“ andererseits schätzen den Wert ihrer eigenen modernen Welt besonders höher, wenn sie eine „unmoderne“ turbantragende Frau begegnen. [18] Den Begriff „Turbanfalle“ verwende ich im Zusammenhang des ambivalenten Verhaltens Deutschlands gegenüber dem Islamismus: Die „Falle“ sieht so aus, dass der einerseits geduldete bzw. geförderte Turban andererseits mit negativen Merkmalen versehen und damit stigmatisiert wird. Genauso wie bei dem hochgespielten „Kurdenproblem“, durch dessen Überheißung ja der gewisse Zusammenhalt bzw. die Solidarität innerhalb der türkischen Gesellschaft in Frage gestellt werden sollte, versucht man das Turban-Problem als eine Trennungslinie innerhalb dieser Gesellschaft zu missbrauchen. Auch hier werden die in Deutschland lebenden Türken in einer Zwickmühle, in eine Falle gedrängt... Der Kurde, den ich niemals als „Andere“ betrachtet habe und betrachten werde, verlangt von mir, dass ich seine „Andersartigkeit“ anerkenne d.h., ihn als etwas anderes als ich betrachte. Auch eine turbanisierte Frau bzw. ihr männlicher Verteidiger möchten mir klar machen, dass sie den richtigen Islam vertreten und ich, ein Kritiker des Turbans als ein politisches Symbol, nicht richtig islamisch sei. Auch hier werde ich gezwungen, die völlige „Andersartigkeit“ der turbanisierten Frau anzuerkennen, obwohl sie ein Teil von mir ist. (Sie könnte meine Schwester sein, wie der oben genannte Kurde ein Verwandter von mir sein könnte, was in der türkischen Gesellschaft und Familie ein Normalfall ist!). [19] Dass diese bei den macht- und wohlhabenden Frauen nicht selten zu begegnende „Überheblichkeit“ und das Vorteilsdenken im Endeffekt zum allgemeinen Nachteil des Frauengeschlechtes führt, wird hier nicht wahrgenommen. [20] Auf der anderen Seite stützt sich die westliche Zivilisation auf die Werte der bürgerlichen Revolution und der Demokratie, in deren Grundlagen die allgemeinen Menschenrechte und damit die Meinungsfreiheit verankert ist. [21] Vgl. dazu: Sabine Kebir: Die Kulturkonzeption Antonio Gramscis. Berlin 1979. [22] Diese Schicht ist nicht nur ein Produkt der Migration, sondern es handelt sich hierbei um ein uraltes bzw. modernes und allgemeines Phänomen. Auch in den “unterentwickelten“ Ländern gibt es eine Entel- bzw. Vermittler-Schicht, die mit den Vertretern der westlichen bzw. imperialistischen Länder zum Nachteil ihrer eigenen Landsleute zusammen arbeiten und ihre Tätigkeiten, von denen ihre Weiterbeschäftigung abhängt, als ein Gebot der „Demokratie“, der „Menschenrechte“, der „Zivilisation“ usw. begreifen und „verkaufen“. [23] Eine ernsthafte Kritik an die Entel-Kegel seitens der türkischen Inteligenz in Deutschland konnte bisher kaum geleistet werden, weil sich diese (leider) unreife Inteligenz anscheinend davor früchtet, “schovenistisch”, “undemokratisch”, “türkisch-nationalistisch” usw. bezeichnet zu werden... [24] Dass auch der Diskurs „Asylantenflut“ in den 90er Jahren eine Sozialengenierung mit der Absicht war, dass durch den gemeinsamen Feind (Gegenvolk=Asylanten) aller Deutschen die Wiedervereinigung Deutschlands leichter verwirklicht werden sollte, wurde von Nora Räthzel überzeugend untersucht. Siehe dazu: Nora Räthzel: Zur Bedeutung von Asylpolitik und neuen Rassismen bei der Reorganisierung der nationalen Identität im vereinigten Deutschland. In: Christoph Butterwege/ Siegfried Jäger (Hrsg.): Rassismus in Europa. Düsseldorf 1993. Nora Räthzels Beitrag: S. 213-229. [25] Jean-Christophe Rufin: Die neuen Barbaren. Der Nord-Süd-Konflikt nach dem Ende des Kalten Krieges. Aus dem Französischen von Joachim Meinert. München 1996. [26] Wenn die Entel-Kegel z. B. über die „Gewalt in der türkischen Familie“ schreiben oder Filme drehen, wagen sie niemals die „Gewalt in der deutschen Familie“ (auch als Fußnote) zu erwähnen. Wenn sie vom „Zwangsheiraten in der türkischen Gesellschaft“ sprechen, verbietet ihnen eine innere Zensur, auch (kurz) von dem über Firmen arrangierten Heirat der älteren deutschen Männer mit den jüngeren (armen) Fernöstlichen Frauen zu sprechen, die ihre (deutschen) Männer vor dem Heirat in der Regel weder sehen noch kennen. [27] Die heutige (2006) islamisch-konservative türkische Regierung von R. T. Erdoğan tut alles, die Türkei von der Linie der Aufklärung und damit der Frauenemanzipation abzubringen. So kann man die These aufstellen, dass während dieser Regierung Frauenunterdrückung zugenommen hat. Interessant ist jedoch zu beobachten, dass derselbe Erdoğan viele gute Freunde in den USA und in Deutschland hat. Er bekam z. B. im Dezember 2004 in Berlin den „Quadriga”-Preis. Bundeskanzler Gerhard Schröder, der die Laudatio hielt, lobte ihn als „Europäer des Jahres“. Die US-Zeitschrift „Time Magazin“ hat „100 einflussreichsten Menschen des Jahres gekürt: „Europäische Politiker waren nicht darunter - wohl aber Erdoğan“ (vgl. http://www.n24.de/politik/hintergrud/. Stand: Dezember 2005). [28] Man könnte hier sogar ironisch sagen: Gott schütze den Türken vor solchen Preisen, die in Deutschland an den (türkischen) Entel-Kegeln gegeben werden. [29] Für eine lobenswerte Kritik an die Position Necla Keleks, siehe: Mark Terkessidis und Yasemin Karakaşoğlu: „Gerechtigkeit für die Muslime! Die deutsche Integrationspolitik stützt sich auf Vorurteile. So hat sie keine Zukunft.“ Petition von 60 Migrationforschern. Die Zeit vom 01.02.2006 Nr. 6. [30] Nota Bene: Ich bin darüber im klaren, dass es hierbei nicht nur um eine abstrakte Stigma-Konstituierung geht, sondern auch um eine konkrete Ausländer- bzw. Türkenpolitik. Die politischen Instanzen in Deutschland möchten den weiteren Einzug der türkischen Immigranten nach Deutschland (hauptsächlich durch das Heiraten) verhindern. Daher wird es als eine politische Maßname beabsichtigt, dass besonders die Heiratskandidatinnen in dem Heimatland (in der Türkei) deutsch lernen müssen und erst im Alter von 21 Jahren nach Deutschland einreisen dürfen. Nun wie es auch bei der „Asylantenflut-Debatte“ in den 90er Jahren der Fall war (damals wollte man auch das Asylgesetz ändern, d.h., verschärfen), beabsichtigt man auch hier eine Sensibilisierung der deutschen Bevölkerung durch die oben geschilderten Stigmabildung(en) gegenüber den Fremden/ Türken und: auch hier möchte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Eine politisch-wirtschaftliche und eine psychologisch-gesellschaftliche. Ich habe in dem vorliegenden Aufsatz versucht, mich mehr in die allgemeinpolitische- und psychologisch-gesellschaftliche Dimensionen der Problematik zu nähern.